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Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt

Titel: Die neue Historia des Dr. Faustus 01 - Der Engelspakt
Autoren: Kai Meyer
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schlagen. Die meisten aber harrten stumm und ergeben dem weiteren Geschehen.
    Der Sprecher, ein großer, knöcherner Mann in den schwarzen Gewändern der Inquisition, stand auf einem ähnlichen Podest wie Faustus selbst, ihm gegenüber vor der Fassade des Schlosses. Statt mit Reisigbündeln war seine Tribüne jedoch mit Seide geschmückt, statt eines Pfahls stand obenauf ein gepolsterter Sessel. Konrad von Asendorf, Inquisitor im Auftrag des Heiligen Vaters, trat einen Schritt nach vorn bis an den Rand der Plattform. Dräuend stand er über den Köpfen des Volkes. Ein Windstoß bauschte seinen Mantel auf, und so manchem entfuhr ein erschrockenes Keuchen. Es sah aus, als wolle sich der Inquisitor auf Rabenschwingen in die Luft erheben.
    »Johannes Faustus«, wiederholte Asendorf mit schnarrender Stimme, »der du dich selbst den Quellbrunn der Nekromanten nennst, den Zweiten unter den Magiern, Astrologe, Chiromant und… und…« Er verstummte und blickte wütend nach hinten zu seinem Zwergendiener, der ihm wieselflink ein Papier überreichte. »Chiromant, Aeromant, Geomant, Pyromant und Hydromant«, las er ab und schleuderte das Papier dann über die Schulter nach hinten. »Du, Johannes Faustus, der du die Heilige Kirche lästerst, dich Schwarzer Magie bedienst und den Verkehr mit dem Bocksfüßigen pflegst…« Er hielt inne und horchte zufrieden auf das erschrockene Raunen der Menge. »Du bist angeklagt, ein Ketzer zu sein und anders zu glauben und zu lehren als die römische Kirche. Das Gericht der Heiligen Inquisition hat dich deshalb zum Tode auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Nimmst du deine Strafe an?«
    Hunderte Augenpaare schwenkten aufgeregt zu Faustus hinüber, der eng verschnürt dastand und seinen Blick nicht einen Moment von der schwarzen Gestalt seines Widersachers nahm. Sein schmales Gesicht verzog sich zu einem freundlichen Lächeln, doch seine Lippen blieben geschlossen.
    Der Henkersknecht trat von hinten an ihn heran und raunte ihm weithin hörbar zu: »Du mußt antworten ›Ich danke der Obrigkeit für diese Gnade‹.«
    Faustus lächelte eine Spur breiter.
    Der Henkersknecht grunzte zornig, zückte ein Messer und hielt es an die entblößte Kehle des Doktors. »Antworte, Ketzer!«
    Faustus sagte kein Wort.
    Der Knecht blickte hinüber zu Asendorf, der ihm mit einem Wink zu verstehen gab, er solle das Messer sinken lassen. »Wir wissen seine Dankbarkeit zu schätzen«, sagte der Inquisitor gleichgültig. Dann rief er lauter: »Vollstreckt jetzt das Urteil!«
    Der Henkersknecht sprang eilig vom Scheiterhaufen, während sich gleichzeitig vier Fackelträger aus der Menge lösten und von allen Seiten auf das Podest zutraten. An den Ecken der Plattform angelangt, blieben sie stehen, hielten die Fackeln mit gestreckten Armen über ihre Köpfe und drehten sich einmal um sich selbst. Die Zuschauer starrten gebannt auf die zuckenden Flammen. Das erwartungsvolle Raunen wurde lauter.
    (Erlaubt mir, verehrter Leser, an dieser Stelle eine kurze Unterbrechung im Ablauf der Ereignisse. Es gibt etwas, daß Ihr über diesen besonderen Fall einer Ketzerverbrennung wissen solltet. Natürlich ist Euch klar, daß dies keine Hinrichtung wie jede andere war, einfach weil Faustus kein Mann wie jeder andere war. Für gewöhnlich vergingen zwischen Verhaftung des Delinquenten und der Vollstreckung seines Urteils mindestens vier Wochen – manchmal gar mehrere Jahre. Während dieser Zeit wurde er verhört, oftmals gefoltert und schließlich vor das hohe Gericht der Inquisition gestellt. Währenddessen kündigten die Pfaffen den Gläubigen das bevorstehende Schauspiel an, luden mit Nachdruck zur Teilnahme ein und versprachen jedem Zuschauer einen Ablaß von zehn bis vierzig Tagen. Einen Tag vor der Hinrichtung schmückte man den Platz, wo der Scheiterhaufen errichtet wurde, mit Fahnen und Girlanden, stellte Blumen in die umliegenden Fenster und Balkone und erbaute eine standesgemäße Tribüne für hohe Gäste. Am Morgen des Hinrichtungstages zog die Gemeinde in einer Prozession durch die Straßen, an ihrer Spitze eine Kongregation des heiligen Petrus des Märtyrers, einem erschlagenen Hexenjäger aus Verona, den der Papst zum Schutzheiligen der Inquisition erkoren hatte. Dumpfe Glockenschläge begleiteten das festliche Geschehen, die Verurteilten wurden rasiert und geschoren, in weiße Gewänder gekleidet und unter viel Brimborium auf den Scheiterhaufen geführt.
    Im Falle des Doktor Faustus lagen die Dinge jedoch ein wenig
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