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Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder
Autoren: Joerg Kastner
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Verrat.
    Davon ahnte Albin der Findling nichts, als er mit einem fröhlichen Pfeifen eine große Holzplatte mit Zwiebelkuchen auf seine Schulter lud und mit der freien Hand die Tür der Backstube aufstieß, vor ihm Kaninchenpasteten und hinter ihm Forellen in Teig. Schnellen Schrittes strebte er dem Refektorium zu, wo die Gäste in ihren prächtigen Gewändern saßen, für ihn eine fremde, unbekannte, aufregende Welt. Und noch aufregender fand er das Mädchen, das Graf Guntram mitgebracht hatte. Gerswind hieß es und war wunderhübsch. In ihr Antlitz schauen zu können war für Albin Grund genug zur Fröhlichkeit.
    Bis ihn eine kräftige Hand an der Schulter fasste, begleitet von einer kratzigen Stimme: »Wohin so eilig, junger Albin? Glaubst du, die hohen Herren verhungern ohne deinen Zwiebelkuchen? Weißt du nicht, was die Sarazenen sagen: Die Eile kommt vom Teufel.«
    Bruder Graman stand im Durchgang zum Siechenhaus und sah Albin mit ernster Miene an, die Stirn noch krauser, das graue Gesicht noch faltiger als sonst. Kein Wunder, dachte Albin insgeheim, dass man den Infirmarius, dem die Sorge für die Kranken oblag, allgemein Bruder Griesgram nannte. Dass ausgerechnet der als wunderlich verschriene Graman den kleinen Albin vor vielen Jahren im Wald gefunden hatte, trug nicht dazu bei, den über Albin ausgegossenen Hohn und Spott zu verringern.
    »Wir haben wichtige Gäste, Nonus Graman. Der Abt hat befohlen, dass es ihnen an nichts mangelt. Sie sollen sich wohl fühlen in den Mauern von Mondsee.«
    »Dominus Manegold und seine wichtigen Gäste täten besser daran, sich in ihren Zellen einzuschließen und für ihr Seelenheil zu beten als der Völlerei zu frönen - in einer Nacht wie dieser!«
    Gramans Gesicht verfinsterte sich noch, mehr und zu der Sorge in seinen Zügen trat Angst. Albin konnte sich das nicht erklären. So sehr er es sonst schätzte, sich mit Graman zu unterhalten, heute Abend hatte er etwas anderes im Kopf: die schöne Gerswind. Deshalb lag kein wirkliches Interesse in Albins Worten, als er fragte: »Was ist mit dieser Nacht, Nonus?«
    »Es ist Nacht, genügt das nicht? Die Nacht ist die Vernichterin von Sonne, Licht und Leben. Sie gebiert die Träume und den Trug, den Schlaf und den Tod.«
    »Aber du sprachst von dieser Nacht, Nonus Graman, als sei sie etwas Besonderes.«
    Der alte Benediktiner nickte. »Das ist sie auch, Albin. Es ist eine Unruhnacht, eine Nebelnacht. Wer zu sorglos ist in dieser Nacht, läuft Gefahr, den Nebelkindern zu begegnen, vom Elbenstrahl getroffen zu werden. Zu lange lebe ich schon hier am Mondsee, um es nicht zu spüren.«
    Graman war einer der ältesten Mönche in der Abtei, das stimmte. Aber der Rest seiner Rede blieb für Albin im Schatten eines düsteren Geheimnisses verborgen.
    Ehe der Findling nachfragen konnte, lächelte der Mönch verkrampft und sagte: »Vielleicht bin ich einfach nur zu alt, dass die Nacht mich ängstigt. Mag sein, sie erinnert mich an die ewige Nacht, die mir bevorsteht. Einen jungen Burschen wie dich sollte ich damit nicht betrüben. Geh nur, Albin, bedien die hohen Herren und erfreu dich an der Schönheit der edlen Gerswind.«
    »Woher weißt du...«
    »Ich habe Augen im Kopf«, unterbrach Graman seinen Zögling. »Wäre ich jung wie du und hätte ich nicht die Gelübde abgelegt, würde ich auch an nichts anderes denken als an Graf Guntrams Tochter.«
    Als Albin seinen Weg fortsetzte, hatte er Gramans düstere Worte schnell vergessen. Die Stimmung im
    Refektorium wurde immer ausgelassener und stand im krassen Gegensatz zu dem stillen Mahl an anderen Tagen. Dann saßen die Mönche, der Ordensregel folgend, schweigend an den Tischen und nur die Stimme des Vorlesers, der aus den Evangelien vortrug, unterbrach die Stille. Heute aber schickte ein Flötenspieler, der zur Gesandtschaft von Hochburgund gehörte, eine lustige, schnelle Melodie durch den Saal. Und anders als in den Gängen und Arbeitsräu- -men, die von harzig stinkenden Kienspänen erhellt wurden, brannten im Speisesaal teure Talg- und Wachskerzen sowie auf Hochglanz polierte Lampen, in denen das Öl der Waldfrüchte für Licht und einen angenehmen Duft sorgte. Fleisch, sonst nur für die Kranken erlaubt, wurde den Schmausenden in Hülle und Fülle vorgesetzt, auch denjenigen unter den Benediktinern, die mit ihrem Abt an den Mahl teilnahmen.
    Bruder Humbert, der Cellarius von Mondsee, führte die Aufsicht im Speisesaal. Nach einer tadelnden Bemerkung über Albins Verspätung befahl
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