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Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder
Autoren: Joerg Kastner
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Wachtposten auf. Er sah sich suchend um, nahm den Speer stoßbereit in beide Hände und verschwand im Eingang zum Koben.
    Augenblicklich lief Albin nach draußen und nahm einen der schweren Holzscheite vom Stapel. Als der Wächter aus dem Koben zurückkam, traf ihn das Holz im Nacken. Der Mann taumelte und sackte mit einer Drehung um sich selbst zu Boden. Der Helm rutschte von seinem Kopf und der Speer aus seinen Händen.
    Albin beugte sich über ihn und stellte erleichtert fest, dass der Mann nur bewusstlos war; er würde mit einer dicken Beule und starken Kopfschmerzen erwachen. Hatte er Albin erkannt? Wohl kaum. Der Findling hatte sehr schnell gehandelt, geschützt durch Nacht und Nebel.
    Er zog den Dolch des Soldaten aus der Lederscheide und entriegelte den Eingang zum Holzverschlag. Der zusammengeschnürte Zwerg kauerte zwischen den Holzstapeln und blickte ihn mit weit aufgerissenen Augen an.
    »Komm schon, mein Junge, trödle nicht rum!«, stieß der Gefangene im Flüsterton hervor. »Je eher ich hier raus bin, desto besser.«
    Es war das erste Mal, dass Albin seine richtige Stimme hörte. Sie hatte einen knarrenden, rostigen Klang, als sei sie das Sprechen nicht gewöhnt.
    »Du könntest ruhig ein wenig freundlicher sein«, erwiderte Albin verärgert. »Schließlich bin ich gerade dabei, dir das Leben zu retten!«
    »Zu gütig.« Der Zwerg setzte eine säuerliche Miene auf. »Besonders wenn man bedenkt, dass ich mich ohne dich gar nicht in dieser misslichen Lage befinden würde. Also mach und schneide mich endlich los!«
    Die Dolchklinge schwebte schon über den Stricken, da hielt Albin inne. Tat er wirklich das Richtige?
    »Aber natürlich«, antwortete der Gefangene auf seinen Gedanken. »Ich bin unschuldig, das weißt du!«
    »Was hattest du im Weinkeller zu suchen?«
    »Wein, was sonst. Man kann von euren Mönchen halten, was man will, aber sie haben den besten Weinkeller weit und breit. Deshalb habe ich einen Tunnel dorthin gegraben. Wo ich herkomme, ist guter Wein eine Seltenheit.«
    »Und woher kommst du?«
    »Aus den Bergen.« Der Zwerg sah in die Nacht hinaus. »Aus dem unwirtlichen Land, in das die Menschen unser Volk vertrieben haben, Albin.«
    »Unser Volk?«, wiederholte der Findling.
    »Du ahnst doch längst, dass du einer von uns bist. Ein Kind des Nebels, ein Elb!«
    Albin stand starr und sah den Fremden an. Natürlich hatte Albin es geahnt, aber eine bloße Ahnung zu hegen und etwas in deutlichen Worten zu hören waren zwei verschiedene Dinge. Albins Gedanken überschlugen sich. Würde er jetzt endlich Auskunft über seine Abstammung erhalten?
    »Ich bin ein Elb, kein Prophet«, murrte der Gefangene. »Wir haben nicht viel Zeit zum Reden. Und wenn du mich nicht endlich von den Fesseln befreist, die mir das Blut abschnüren, bin ich bald nur noch ein Haufen totes Fleisch!«
    Albin schnitt die Fesseln durch und fragte: »Wie heißt du? «
    »Man nennt mich Findig, und ich finde es nicht unpassend.«
    »Erzähl mir mehr über dich und über ... unser Volk!« Findig rieb seine befreiten Glieder. »Ich würde ja gern bei einem guten Becher Apfelwein mit dir plaudern, Bruder, aber ich sollte besser verschwunden sein, wenn der Wachtposten wieder zu sich kommt.«
    Albin nickte und seufzte: »Du hast Recht. Reden können wir später, wenn wir in Sicherheit sind.«
    »Du irrst dich, ich geh allein. Du musst hier bleiben für den Fall, dass der Rotelb wieder in der Abtei auftaucht.«
    »Wer?«
    »Der Meuchler, den du gesehen hast. Es kann nur ein Rotelb gewesen sein. Einer von denen, die ihr eigenes Volk verraten und sich an die Menschen als Mörder verdingt haben.«
    »Du meinst, er ist für den Mord angeheuert worden?«
    »Aber natürlich«, sagte Findig verächdich. »Ein Rotelb wird immer von anderen für seine Schandtaten bezahlt.«
    »Seine Arbeit ist getan. Wieso sollte er ins Kloster zurückkommen ? «
    »Ich weiß es nicht. Tut er es nicht, kann deine Anwesenheit hier gleichwohl hilfreich sein. Vielleicht kannst du herausfinden, wer mit dem Rotelb im Bunde steht. Es muss etwas mit der Zusammenkunft der Grafen zu tun haben.«
    »Warum ist das so wichtig?«
    »Ein Elb hat einen hochstehenden Adligen ermordet, einen Verwandten des Westfrankenkönigs. Diese Tat fällt auf unser ganzes Volk zurück. Die Menschen machen keinen Unterschied zwischen Braun- und Schwarz-, Licht- und Rotelben. Für sie sind wir alle Nebelkinder, unheimlich und bedrohlich. Deshalb hassen und verfolgen sie uns. Der Mord an
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