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Die Nebelkinder

Die Nebelkinder

Titel: Die Nebelkinder
Autoren: Joerg Kastner
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sie zusammen mit... den Nebelkindern?«
    Graman wollte etwas erwidern, presste dann aber seine Lippen fest aufeinander, als wolle er sich selbst zum Schweigen zwingen. Er schwankte leicht, wie ein junger Baum im Wind. Die Lippen bebten, suchten nach passenden Werten. Seine Finger kratzten noch immer an der groben Wolle des Mönchsgewands.
    »Weit fortgeschritten ist die Nacht, in wenigen Stunden läutet die Glocke zur Mette«, sagte er endlich und es klang zögerlich. »Unsere Gedanken sind aufgewühlt, unsere Geister ermüdet. Es ist nicht die Zeit, um über wichtige Dinge zu sprechen.«
    »Wann ist die Zeit?«, fragte Albin drängend.
    »Wenn wir ausgeruht sind. Morgen vielleicht. Und jetzt schlafe gut, mein Sohn. Der Herr sei mit dir.«
    Albin nickte nur. Enttäuscht, von Graman nichts erfahren zu haben, blickte er ihm nach, als der Mönch zum Dormitorium ging. Den Oberkörper weit nach vorn gebeugt und mit schlurfenden Schritten wirkte Graman wie ein Greis, der die Last des hohen Alters auf den Schultern trug. Oder die des Wissens, das er vor Albin verbarg?
    Albin ging in die andere Richtung, zum Schlafsaal der Bediensteten. Schon nach wenigen Schritten blieb er stehen. Er wusste, dass er viel zu aufgewühlt zum Schlafen war. Er würde sich nur unruhig auf seinem Lager hin und her wälzen. Aber noch etwas anderes ließ ihn umkehren: die Stimme in seinem Kopf. Der Hilferuf des Gefangenen.
    Ja, komm zu mir, Albin. Rette mich, mein Bruder!
    Albin erschrak. Der Gefangene konnte ihm nicht nur laudose Botschaften zusenden, er las offenbar auch die Gedanken des Findlings.
    Nicht immer, aber zur Zeit ist es hilfreich. Auch du wirst dich an die Gabe gewöhnen. Und nun beeil dich, bitte!
    Die Stimme leitete ihn durch die düsteren Gänge. Zögernd ging Albin zum Küchentrakt, erfüllt von Furcht und Zweifeln. Wenn er dem Gefangenen half, war das nicht ein Verrat an den Mönchen, die ihn aufgenommen hatten? Ein Verrat an Graman. Und, vielleicht noch schlimmer, ein Verstoß gegen Graf Guntrams Befehle und damit Hochverrat. Doch Albins
    Mitleid und sein Schuldgefühl überwogen. Er konnte es nicht ertragen, den Gefangenen unter der Folter zu wissen. Schon deshalb nicht, weil er selbst den Unbekannten in diese schreckliche Lage gebracht hatte. Und dann war da noch seine brennende Neugier, mehr zu erfahren über den seltsamen Zwerg, über die Nebelkinder - über sich selbst.
    Das wirst du, Albin, du wirst die Wahrheit erfahren!, versprach das Flüstern in seinem Kopf. Aber nur, wenn du mir beistehst!
    Der Küchentrakt lag verlassen vor Albin. Die rege Geschäftigkeit, die hier vor wenigen Stunden geherrscht hatte, war nur noch Erinnerung, hatte sich aufgelöst in den mitternächtlichen Schatten und im Nebel, der diesige Schwaden durch die Ritzen von Türen und Fensterläden sandte.
    Du bist gleich da, Albin. Ich bin auf dem Hof, im Holzverschlag. Aber- sei vorsichtig, eine Wache steht vor der Tür. Du musst sie ausschalten, ohne dass sie dich erkennt.
    Leise trat Albin an die Tür, die zum Küchenhof führte, zog sie einen winzigen Spalt auf und spähte hindurch. Er sah den Hühner- und den Kaninchenstall und dann auch den Brennholzverschlag, vor dem müde ein Soldat im Kettenhemd lehnte. Der Helm saß schief auf dem wuchtigen Schädel und der Speer schien dem Mann mehr als Stütze denn als Waffe zu dienen. Ein herzhaftes Gähnen unterstrich seine Müdigkeit. Gleichwohl war er ein robuster Kerl, ein erfahrener Soldat. Wie sollte Albin ihn überwinden?
    Lass dir etwas einfallen, Bruder: Du bist schlau und stark, nutze deine Gaben und sieh zu, dass du den müden Krieger unschädlich machst!
    Albins Augen hatten sich schnell an die neblige Nacht gewöhnt; schon immer hatte er auch bei schlechtem Licht gut sehen können. Vor dem Verschlag waren armdicke Feuerholzscheite aufgestapelt, die man nach draußen geschafft hatte, um Platz für den Gefangenen zu bekommen. Ein schmaler Weg führte zum Schweinekoben hinter dem Verschlag.
    Der Findling bückte sich und steckte eine Hand durch den Türspalt, bis er einen Stein ertastete. Es war nur ein kleiner Kiesel, aber ausreichend für seine Zwecke. Albin erhob sich und wartete, bis der Wächter in die andere Richtung sah. Schnell süeß er die Tür ein wenig weiter auf, schleuderte den Kieselstein im hohen Bogen und zog die Tür sofort wieder zu. Der Kiesel flog, wie geplant, über den Holzverschlag und fiel mit einem hellen Klackern gegen den Schweinekoben.
    Das Geräusch schreckte den
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