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Die Naschmarkt-Morde

Titel: Die Naschmarkt-Morde
Autoren: Gmeiner-Verlag
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anschaffte. Im Allgemeinen funktionierte der Rollentausch perfekt: Der Untergebene erledigte den Papierkram, während Nechyba es vorzog, auf der Straße polizeiliche Präsenz zu demonstrieren. ›Pospischil‹, pflegte Nechyba zu sagen, ›so lungenkrank und ausgezehrt, wie Sie aussehen, kann ich Sie gar nicht in die raue Wirklichkeit rauslassen. Da glauben sonst die Gauner, dass wir bei der Polizei keine kräftigen Mannsbilder mehr haben, und verlieren am Ende noch den Respekt vor uns. Nein, nein, Pospischil …, Sie bleiben schön hinter Ihrem Schreibpult und erledigen da alles, was es so zu erledigen gibt. Während ich mich draußen um das Gesindel kümmere.‹
    Genau das tat Nechyba nun, als er langsam durch das Gewühl von Ständen, Marktfrauen, Dienstmädchen, Köchinnen, gnädigen Frauen, Händlern, Handwerkern, Herumtreibern und Hausierern schlenderte. Während seine Nase das unvergleichliche Potpourri von Ausdünstungen, Aromen, Gewürzen, Viktualiendüften und Verwesungsgerüchen, das sich wie eine unsichtbare Glocke über den Naschmarkt stülpte, witternd aufsog, arbeitete sein Polizistengehirn intensiv, und seine Augen sahen alles: den Planeten-Stani, wie er einer dicken Köchin ein Horoskop-Zetterl verkaufte und wie er danach mit einem Dienstmädchen schäkerte. Die Marktfrau, die einem Kunden leicht angeschlagenes Obst als frische Ware andrehte. Den Wurstsieder, dem ein ganzes Band Würste in den Dreck fiel. Er hob es auf und gab es – dreckig, wie es war – in den Wurstkessel zurück. Die Blumenfrau, die einem zögernden Herren zuerst schöne Augen machte, und als der dann doch nichts kaufte, ihn aufs Wüsteste beschimpfte. Einen mit Anzug und Krawatte bekleideten Gymnasiasten, der blitzschnell zwei Äpfel aus einem Korb stibitzte, diese in den Hosentaschen verschwinden ließ und laut pfeifend davonging. Nechyba beschleunigte seinen Schritt. Wie eine Panzerfregatte auf Rammkurs durchpflügte er das Menschengewühl und packte den Buben am Genick, sodass dieser vor Überraschung und Schmerz aufschrie. Nechyba schüttelte den an seiner Hand zappelnden Jüngling und herrschte ihn an: »Hab ich dich erwischt! Rotzbub! Du stiehlst den Marktfrauen Äpfel? Na, dir werde ich helfen …«
    Nechyba holte mit der linken Hand aus und verabreichte dem Buben gerade und verkehrte Ohrfeigen, dass diesem die Wangen glühten. Danach ließ Nechybas Pranke das Genick los und verkrallte sich im Haarschopf des Übeltäters. Mittlerweile war das ungleiche Duo von einer Menschenmenge umringt, die zum Teil Nechyba anfeuerte: »Gib ihm! … Und noch eine! … Ein paar kräftige Ohrfeigen haben noch niemanden geschadet …«
    Anderen tat der Bub leid: »Sind S’ doch nicht so brutal zu dem Kind … Der arme Bub …«
»Der Dicke bricht dem Kleinen glatt das Genick!«
    Alle Zurufe ignorierend, zog Nechyba den Kopf des Burschen so weit in die Höhe, dass dieser nur mehr auf Zehenspitzen stehen konnte. Dann holte er aus dessen Hosentaschen die beiden Äpfel hervor. In diesem Augenblick trat ein uniformierter Sicherheitswachmann – mit Pickelhaube und Säbel – neben das ungleiche Paar. Er salutierte und sagte: »Respekt, Herr Inspector, haben Sie wieder einmal einen Dieb in flagranti ertappt. Ich bring ihn gleich auf das Kommissariat.«
    Ehrfürchtiges Raunen ging durch die Menge, der Ertappte fing wie ein junger Hund zu heulen an, und Nechyba erwiderte: »Lassen Sie es gut sein. Der Bub wird die Äpfel zurückgeben, dann kann er laufen.«
    Er wendete sich dem Knaben zu, nahm sein Ohr, drehte es auf das Fürchterlichste ein und befahl: »Du gehst jetzt zu der Fratschlerin, gibst ihr die Äpfel zurück, entschuldigst dich und verschwindest. Und wehe … wenn ich dich noch einmal beim Stehlen erwisch! Dann sperr ich dich für drei Tage in den Kotter 16 . Hast du verstanden?«
    Der Bub gab ein verheultes »Ja!« von sich, was aber nicht genügte. Sein Ohr wurde weiter eingedreht, und er wurde belehrt, dass die korrekte Antwort ›Jawohl, Herr Inspector!‹ lauten müsse. Als er diese Antwort gegeben hatte, wurde sein Ohr losgelassen. Wie ein begossener Pudel brachte der Dieb die Äpfel zurück, entschuldigte sich, bekam von der Marktfrau noch eine Ohrfeige und machte sich schleunigst aus dem Staub. Nechyba aber ging weiter, zu dem Teil des Naschmarktes, wo gerade neue, fest gemauerte Stände gebaut worden waren. Dort gab es in einem Durchgang ein Stehbuffet, bei dem man Würsteln sowie Flaschenbier konsumieren konnte. Als er,
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