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Die Narrenburg

Die Narrenburg

Titel: Die Narrenburg
Autoren: Adalbert Stifter
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schwören wolle, ob nicht. Bei wessen Tode sich der Fall ereigne, daß man von ihm gar keine Lebensbeschreibung in dem rothen Steine finden könne, der wird als gar nicht geboren betrachtet, also ist auch seine ganze Nachkommenschaft nicht geboren, und das Fideicommiß geht an ihnen vorüber den Weg Rechtens weiter.
    Der Grund, der Hannsen leitete, eine so seltsame Klausel an sein Fideicommiß zu hängen, war ein zweifacher.
Erstens
, obwohl er ein sehr frommer und tugendhafter Mann war, so hatte er doch in seinem Leben so viele Narrheiten und Uebereilungen begangen, und es war ihm daraus so viel Beschämung und Verdruß zugewachsen, daß er beschloß, alles haarklein aufzuschreiben, ja auch seinen Nachfolgern die Pflicht aufzulegen, daß sie ihr Leben beschreiben, damit sich Jeder, der nach ihnen käme, daran zu spiegeln und zu hüten vermöge.
    Der
zweite
Grund war: daß sich jeder, der nur die entfernteste Anwartschaft auf Rothenstein hätte, gar wohl von Laster und Unsitte fern halten würde, damit er nicht dereinst in die Lage käme, sie beschreiben zu müssen, oder sie doch halbwegs einzugestehen, wenn er den Eid von sich schiebe.
    Was nun den ersten Punkt anlangt, so hatte Hanns das Unglück, das schnurgerade Gegentheil von dem zu erreichen, was er erzielen wollte. Es mußte nämlich von ihrem Ahnherrn her so viel tolles Blut, und so viel Ansatz zur Narrheit in den Scharnasts gelegen haben, daß sie, statt durch die Lebensbeschreibungen abgeschreckt zu werden, sich ordentlich daran ein Exempel nahmen, und so viel verrücktes Zeugs thaten, als nur immer in eine Lebensbeschreibung hineingeht - ja selbst Die, welche bisher ein stilles und manierliches Leben geführt hatten, schlugen in dem Augenblicke um, als sie in den Besitz der verwetterten Burg kamen, und die Sache wurde immer ärger, je mehr Besitzer bereits gewesen waren, und mit je mehr Wust sich der neue den Kopf anfüllen mußte. Der Stifter würde sich im Grabe umgekehrt haben, wenn er durch die dicken Felsenwände in seine Gruft hineingehört hätte, was die Leute sagten; nicht anders nämlich, als die »Narrenburg« nannten sie den von ihm gerade in dieser Hinsicht so wohl verklausulirten Rothenstein.
    In Bezug des zweiten Punktes, der Tugend nämlich, war es nicht recht klar, in wie weit der Gründer seinen Zweck erreicht habe; man sagte wohl den Scharnasts verschiedenes Böse nach, allein es kroch immer nur so im Dunkel herum: andrerseits stand aber auch die Thatsache fest, daß man sich nie einer Zeit erinnern konnte, wo einer von ihnen als ausnahmsweises Muster der Tugend wäre aufgestellt worden.
    Heutzutage liegt die Burg beinahe in Trümmern, und seit der letzte Scharnast in Afrika erschossen worden ist, konnte man auch gar keinen Anwärter mehr auf den Rothenstein auftreiben, und ein Schalk warf bereits die lächerliche Rechtsfrage auf, ob nun auch der Fiscus seine Lebensbeschreibung werde schreiben müssen.
    So standen actengemäß die Sachen, als sich das zutrug, was wir in den folgenden Blättern erzählen wollen.
    Eines schönen Sommertages gegen Abend im Jahre 1836 schritt ein junger, leidlich schmucker Bursche das romantische Waldthal der Fichtau an dem Flusse Pernitz entlang. Dieser Mann war trotz des jungen freundlichen Gesichtes lächerlich anzusehen; denn er war verworren angezogen und mit den seltsamsten Dingen bepackt. An einem um die Schulter gehenden Lederriemen hing eine große, flache Seitentasche, wie ein Ofenschirm, der ihn am Gehen hinderte; längs der Kante dieser Tasche war ein Holzfuß geschnallt, der, auseinandergelegt, das Gerüste zu einem Feldsessel abgab. Auf dem Rücken trug der Mann ein Ränzlein, das ebenfalls wieder so breit war, daß es rechts und links an seiner Person hervorstand; davon hing ein langstieliger Hammer, und eine abenteuerliche Hacke herab; oben war ein großer grauer Regen- und Sonnenschirm, und eine lange Blechbüchse daran geschnallt, welche beide wagrecht so sehr über seine Schultern hinausragten, daß er von fern anzusehen war, wie ein wandelndes Kreuz. Die Hand hielt einen Alpenstock mit mächtiger Eisenspitze - des Uebrigen hatte er einen breiten Strohhut auf, eisenbeschlagene Stiefel an, und sein Rock schlug bei jedem Schritte so pendelmäßig gegen seine Füße, als trüge er beide Säcke voll Eisen oder Gestein. So hatte man ihn schon mehrere Wochen in den Bergen der Fichtau herumgehen und herumsitzen gesehen.
    Die Fichtau aber ist ein schönes Bergrevier, voll sanftblickendem,
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