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Die Nanowichte

Die Nanowichte

Titel: Die Nanowichte
Autoren: Andrew Harman
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zeigen! Und zwar so, daß er es nie vergessen würde! Irgendwann einmal, zur rechten Zeit, am rechten Ort, wollte er … wollte er was? Was könnte er diesem Ekel von Chef bloß antun, um ihn wenigstens die Spur eines Hauchs davon zuzufügen, was man Todesqualen nannte? Vielleicht sollte er sich einen Dolch kaufen … Oder zwei Dolche …
    Weit drüben im Osten fuhren aus schwarzen Wolken Blitzspeere über den Bergen des Gagalaya nieder, in einem Avocadofeld erstickte ein Wachtelkönig an einem Wurm, und hoch oben am unermeßlich weiten Firmament stieg das Sternbild des Schnitters unaufhaltsam zum Zenit auf … Heute wurden ein wenig mehr Zeichen und Omina aufgefahren als sonst, heute wurde diesbezüglich nicht geknausert, denn heute war Freitag der Dreizehnte.
    Vor Stunden schon waren in der Bergstadt Axolotl die Schläfer erwacht. Sie waren rückwärts aus dem Bett gekraxelt, hatten die Füße in Llamamilch gebadet, hatten nach dem Fußbad eine halbe Stunde lang psalmodiert und dabei einen Mahagoniklotz fest an die Stirn gedrückt. Alle wußten, welch ein Tag heute war, alle wußten, daß sich überall die Geister böser Vorzeichen herumtreiben und ihnen an die Waden gehen würden. Und mit entsetzlicher Klarheit war ihnen allen bewußt: Wenn sie mit ihren Gesängen zur Abwehr des Übels nicht auf Zack waren, dann würde ihnen eine Höllenangst im Nacken sitzen und so lange nicht weichen, bis das Licht der Großen Sonne erloschen war.
    Nur gut, daß der Der Axolotische Vorbote in der Rubrik Schöne Aussicht alle wesentlichen Rezitative abgedruckt hatte! Wenn jeder der ultraüberabergläubischen Einwohner von Axolotl die nötigen Vorkehrungen traf und persönlich dafür sorgte, daß auf seinem Schicksalsweg kein böses Kraut mehr wuchs, dann würde es nicht zur Katastrophe kommen, dann würde alles reibungslos und wie geschmiert laufen.
    Leider lief es für einen gewissen Quintzi alles andere als geschmiert. Wie immer. Was sich schon bald zeigen sollte.
    Tiemecx, der pünktliche Papagei, ging zum siebenunddreißigstenmal an diesem Morgen auf seiner Stange in Position, pumpte sich die Fliegerbrust voll Luft und schickte sich an, sich die Lunge aus dem gefiederten Leib zu kreischen.
    Und wieder, zum siebenunddreißigstenmal an diesem Morgen, versagte er vollständig und schaffte es nicht loszulärmen, wie es erforderlich gewesen wäre, um seinen Herrn aus dem geliebten Federbett zu scheuchen. Alles, was er zustande brachte, war – wie bei den anderen, ebenso kläglichen Versuchen auch – ein traurig rasselndes, keuchendes Husten. War das abgeklungen, packte ihn jedesmal ein rasender Schwindel.
    Kehlkopfentzündung? überlegte der Papagei und rieb sich mit der Schwungfeder vorsichtig den Hals. Lungenentzündung? Das Alter? Nein, das bestimmt nicht. Sechs Jahre waren schließlich kein Alter für einen Papagei im Weckdienst! Oder doch?
    Bei der Vorstellung, vielleicht schon bald ein Leben als Frührentner führen zu müssen, wurde Tiemecx ganz elend zumute. Unglücklich hopste er bis zum Ende der Sitzstange und ließ sich auf das schmuddelige Kopfkissen seines Herrchens fallen. Wenn er ihn schon nicht wachkreischen konnte, mußte er es eben anders versuchen. Wozu hatte er schließlich einen Schnabel?
    Er stellte sich auf das Kopfkissen, richtete sich zu seiner vollen Größe (drei Zoll hoch etwa) und Farbenpracht auf, hob den Schnabel und stellte sich vor, er wäre ein Buntspecht und hätte es auf ein paar fadenscheinige graue Faserstränge einer ganz besonders schmackhaften Flechtenart abgesehen.
    Drei gute Schnabelhiebe schaffte er und erwischte Quintzi Cohatl seitlich am Kopf. Dann fuhr sein Herrchen hoch, packte ihn an der Gurgel und feuerte ihn wie einen zerrupften Flederwisch quer durchs Zimmer. Die Schwungkraft dieser Aktion schien sich ungebremst der Hängematte mitzuteilen: Sie kippte, schlug um, und Quintzi lag unversehens unter einem schlampig gebauten Zelt aus Bettdecken auf dem Sandsteinboden. Raunzend warf er die Plumeaus zur Seite und stand schwankend auf – angetan mit seinem astrologischen Lieblingspyjama in Blau und Gold und seinen schmutzigen Socken.
    Tiemecx rappelte sich flatternd auf, klappte beleidigt die Flügel zusammen und funkelte den alternden Prognostiker des Ressorts Avocadokonservierung wütend an. Warum war der Kerl eigentlich so sauer? Wach war er, was wollte er denn noch? Frühstück vielleicht? Pah! Von wegen!
    Quintzi Cohatl leckte sich gereizt die Lippen, rieb sich die Augen (es
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