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Die Namenlose

Die Namenlose

Titel: Die Namenlose
Autoren: Hubert Haensel
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hatten. Fast eine Elle durchmessende, borkige Stämme wuchsen mannshoch und ohne erkennbaren Übergang aus dem Boden. Luftwurzeln umrankten das untere Drittel dieser Pflanzen wie tausend dürre Finger; in den winzigsten Ritzen fanden sie Halt, und überall dort waren neue Triebe im Entstehen begriffen.
    Aber nicht das war es, was jeden Betrachter faszinierte, sondern die üppige, einen eigenartigen Duft verströmende Blütenpracht. Dicht an dicht wucherten kelchförmige, aus schlanken Blättern gebildete Blüten. Selbst an einem einzigen Stamm waren sie von verschiedener Farbe, sie wirkten wie züngelnde Flammen, die steil in die Höhe strebten. Und wie Rauch ein loderndes Feuer, so umgaben feine Dunstschleier die Kelche. Wenn man näher hinsah, zeigten die Blätter sich von einer schillernden Flüssigkeit überzogen, die sogar das Innere der Blüten ausfüllte. Viele winzige Blasen stiegen in ihr empor. Wenn sie zerplatzten, entstanden jene Laute, die die Aufmerksamkeit der Amazonen geweckt hatten.
    Es bereitete Mühe, sich durch das Gewirr aus Luftwurzeln hindurchzuzwängen, wollte man sie nicht zerstören. Gerrek schnupperte an einem der Stämme.
    »Das riecht besser als Waldluft«, stellte er schließlich fest. »Laßt eure Schwerter in den Scheiden. Wenn ich nicht irre, geben diese Pflanzen die Luft, die wir zum Atmen benötigen.«
    Gorma blickte ihn verwundert an. Sie, die soeben im Begriff gewesen war, eine Bresche freizuschlagen, ließ die erhobene Rechte wieder sinken. Aber erst als Sosona zustimmend nickte, sagte sie:
    »Du magst recht haben. So dumm, wie du aussiehst, bist du anscheinend nicht.«
    »Zuviel der Ehre…« Weiter kam Gerrek nicht, weil ein lauter Aufschrei ihn unterbrach. Er wirbelte zu Gerta herum, von deren Schulter Blut sickerte. Mit heftigem Ruck riß sie einen Pfeil aus der Wunde.
    Ein zweites Geschoß prallte an Gormas Rüstung ab.
    »Tritonen!« brüllte die Amazone. »Ich habe es geahnt.«
    Doch kein Gegner zeigte sich. Vermutlich lagen sie hinter den blühenden Stämmen verborgen.
    Der Pfeil, den Gerta wütend zur Seite schleuderte, war aus Fischgräten geschnitzt worden und besaß eine Vielzahl von Widerhaken. Ihr Gesicht wirkte verzerrt, als sie ihre Linke auf die nunmehr heftiger blutende Wunde preßte.
    Die Amazonen wußten auch ohne Worte, was sie zu tun hatten. Mit weiten Sätzen und ohne auf die Pflanzen Rücksicht zu nehmen, sprangen Gorma und Kalisse vorwärts. Sie suchten die Deckung einiger größerer Stämme. Scida blieb hinter ihnen zurück, Sosona nahm sich der Verwundeten an.
    Ein bösartiges Zischen veranlaßte Gerrek, sich blitzschnell zu ducken. Unmittelbar über ihm riß ein geworfener Dreizack Blüten ab. Die Tritonen kamen auch von der anderen Seite, und sie schienen nur auf den günstigen Augenblick gewartet zu haben, um anzugreifen.
    Es mochte eine Handvoll zu allem entschlossener Krieger sein oder eine ganze Heerschar, wer konnte das schon sagen. Niemand sah sie.
    »Wir sitzen in der Falle«, flüsterte Gerta. »Was machen wir nun?«
    Sosona schwieg. Einem magischen Ritual folgend, strich sie mit zwei Fingern über das gerinnende Blut.
    »Du trägst den gelben Mantel. Kannst du sie nicht hinwegfegen?«
    »Das erledigen wir auf unsere Weise«, sagte Scida schnell und enthob Sosona damit einer Antwort. Gleichzeitig huschte sie geduckt auf einen der nächsten Stämme zu.
    Pfiffe hallten durch den Tunnel. Es hagelte Steine. Dann waren die Tritonen heran.
    Es waren viele, mehr als Gerrek befürchtet hatte. Sie kämpften mit unwahrscheinlicher Härte. Das Schwerterklirren wurde heftiger, übertönte selbst die Schreie der Amazonen.
    Gerrek spie Feuer und hielt sich auf diese Weise die Angreifer recht gut vom Leib. Aber ihm ging schnell der Atem aus.
    »Die Flöte«, stieß Sosona hastig hervor.
    Einem heranstürmenden Tritonen schmetterte Gerrek den Dreizack entgegen, den er aufgehoben hatte. Der Fischmensch wich jedoch geschickt aus und sprang den Mandaler an, bevor dieser recht begriff. Seine Hände mit den Schwimmhäuten schlossen sich um Gerreks Hals, und ineinander verkrallt stürzten sie zu Boden.
    Der Beuteldrache konnte seinen lähmenden Griff nicht anwenden, er hatte genug damit zu tun, den beiden Hörnern auszuweichen, mit denen der Okeazar nach ihm stieß. Aber unvermittelt erschlaffte der Körper des Angreifers; Gerrek stieß ihn von sich und kam mit einem einzigen Satz auf die Beine. Gerta stand vor ihm. Aus ihrem Gesicht war alle Farbe gewichen. Sie
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