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Die Namenlose

Die Namenlose

Titel: Die Namenlose
Autoren: Hubert Haensel
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unheilvolle Kribbeln in seinem Leib zu unterdrücken und packte zu, zerrte Kalisse und Omera zu sich heran.
    Die Frau suchte sich seinem Griff zu widersetzen, grub ihre Nägel tief in seine Drachenhaut. Schrill kreischte sie auf.
    »Sie fällt dem Wahn anheim«, keuchte Kalisse und schlug mehrmals mit der flachen Hand zu. Aber es half nichts.
    Durch das zerrissene Geflecht drang Wasser in den Pferch ein. Schnell war der Boden kniehoch bedeckt. Die Luft suchte sich einen Weg nach draußen und zerstörte dabei weitere Pflanzen, die dem Druck nicht mehr standhielten.
    »Wir müssen hier wieder raus«, stöhnte Kalisse. »Sonst ertrinken wir.«
    Das einströmende Wasser riß Mauersteine aus der Wand.
    »Es steigt rascher«, krächzte Gerrek. »Worauf warten wir noch?«
    »Ich kann die Frau nicht einfach niederschlagen«, sagte Kalisse. »Bis wir bei den anderen sind, wäre sie dann längst ertrunken.«
    Nur hintereinander konnten sie durch das Fenster steigen, bis an dessen unteren Rand bereits das Wasser reichte. In dem Moment, als Gerrek sich hindurchschob, wölbte sich vor ihm eine mächtige Luftblase auf. Er fühlte, wie sie ihn mit sich zu zerren drohte, und stemmte sich dagegen. Ihres Haltes beraubte Pflanzenteile sanken auf ihn herab.
    Omera nutzte die flüchtige Unachtsamkeit des Beuteldrachen und trat ihn in die Kniekehlen, daß er strauchelte. Überrascht ließ er ihr Handgelenk los.
    Mit einer Behendigkeit, die auch Kalisse der Frau nicht mehr zugetraut hätte, griff sie nach den Pflanzen, die unter ihrem Gewicht endgültig von der Mauer losgerissen wurden. Die aufsteigende Luftblase wirbelte das Grün mit sich. Arme und Beine ausgebreitet, ließ Omera sich ebenfalls treiben. Ungläubig starrte Gerrek ihr hinterher.
    Kalisse gab ihm mit Handzeichen zu verstehen, daß er nicht länger warten solle. Überall brach jetzt Luft aus dem Pferch hervor. Selbst der Mauersims begann abzubröckeln.
    Bevor Gerrek auch nur nicken konnte, hatte die Amazone ihn schon gepackt und schleppte ihn hinter sich her. Er machte es ihr nach, wie sie die Beine anzog und mit kräftigem Ruck wieder ausstreckte, und siehe da, er kam plötzlich weitaus schneller vorwärts als bisher.
    In Gedanken zählte Gerrek seine Herzschläge. Er war bei sechzig angelangt, als der Hügel zum Greifen nahe vor ihm aufwuchs. Die Amazone ließ sich auf den Grund sinken, der felsig war und unbewachsen. Gerrek fror. Eine kühle Strömung von Süden her trieb ihm Plankton ins Gesicht.
    Gleich darauf sah er die dunkle Höhlung, die beinahe vier Körperlängen breit war und mindestens zwei in der Höhe maß. In unüberschaubarer Reihe lagen glattgeschliffene Steinplatten, nebeneinander. Zweifellos stimmte also die Geschichte von der alten Straße, die einst Ptaath und Ngore miteinander verbunden haben mochte.
    Ein Schwarm kleiner Fische stob davon, als Kalisse und der Beuteldrache in den Tunnel eindrangen. Rasch wurde es dunkel; der helle Schimmer hinter ihnen lockte zur Umkehr.
    Quälend war der Drang, tief einzuatmen. Zwar stieg die Röhre merklich an, aber noch war sie gänzlich überflutet.
    Wehmütig dachte der Mandaler daran, was geschehen würde, wenn seine schlimmsten Befürchtungen zutrafen. Wenigstens einmal in seinem Leben wollte er Gorgan sehen, jenes Land, wo Männer regierten und die Frauen ihnen gehorchten. All seine Träume, in denen er sich von weiblichen Schönheiten umgeben sah, die ihn bewunderten, durften nicht verloren sein.
    Gorgan war die Offenbarung…
    Mit einemmal fühlte Gerrek sich unsagbar leicht. Die Finsternis um ihn her wich einem weiten Land. Bis an den fernen Horizont erstreckte sich ein wunderschöner Hain. Blühende Bäume standen vor ihm im hellen Sonnenschein, und Vögel zogen ihre Kreise am strahlend blauen Himmel.
    Unvermittelt schwand dieses Paradies. Zurück blieben nur stechende Schmerzen in Gerreks Brustkorb. Jeder Schritt wurde ihm zur Qual, doch er zwang sich zum Weitergehen. Er wußte, wenn er nun stehenblieb, bedeutete das sein sicheres Ende.
    Wasser, nichts als Wasser um ihn her. Wo Kalisse war, wußte der Mandaler nicht. Er dachte nicht mehr an sie, war nur noch allein mit sich und seinen schwindenden Gedanken.
    Er hatte aufgehört, die Herzschläge zu zählen, taumelte blind vorwärts. Ein Stein, gegen den er stieß, brachte ihn zu Fall. Wild ruderte Gerrek mit den Armen, ohne sich jedoch abfangen zu können.
    Alles in ihm schrie nach Luft. Obwohl er wußte, was ihm bevorstand, konnte er nicht anders, als den
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