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Die Namenlose

Die Namenlose

Titel: Die Namenlose
Autoren: Hubert Haensel
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Flügel hatte sie vergessen, sondern auch Kiemen.
    »Träumst du schon wieder?« Gerta versetzte ihm einen Stoß zwischen die Schulterblätter.
    Gorma hatte inzwischen die halbe Strecke zurückgelegt. Das Gewicht ihrer Rüstung behinderte sie merklich. Die Amazone schwamm dicht über dem Grund; Seegras entzog sie vorübergehend den Blicken des Mandalers.
    Gerrek wußte nicht, wie lange sie den Atem anhalten konnte. Aber bestimmt nicht länger, als er benötigte, um zehnmal seine Finger zu zählen. Ohne daß er es wollte, begann er lautlos damit.
    Kein Tritone zeigte sich.
    »Wo ist Gorma jetzt?« Gerta war anzumerken, daß sie an den eigenen fehlgeschlagenen Fluchtversuch dachte.
    »Ich sehe sie nicht mehr.«
    Wenn Gorma es nicht gleich geschafft hat, dachte der Mandaler, ist es aus für sie. Aber schon zwei Herzschläge später entdeckte er die Amazone vor dem langgestreckten Hügel. Sie winkte kurz herüber, bückte sich und war gleich darauf endgültig verschwunden.
    Scida schob sich als nächste durch die Pflanzenwand, ihr folgte Gerta in einigem Abstand.
    Unbehelligt erreichten beide ebenfalls die alte Straße.
    »Ich glaube«, sagte Kalisse, »wir müssen es wagen, zusammen aufzubrechen.«
    »Sollten wir nicht noch etwas bleiben«, gab Gerrek zu bedenken. »Wer weiß, was uns erwartet.«
    »Unser Held will uns zurückhalten, weil die Angst vor dem Wasser seine Kehle zuschnürt«, meinte Sosona.
    »Ich und Angst - niemals!« Mit beiden Fäusten schlug Gerrek sich auf den Brustkorb.
    »Hoffentlich hat Learges nicht gelogen.« Sosona zwängte sich durch die Öffnung, in der einst eine Tür gehangen hatte. Gerrek trat zurück und ließ Omera an sich vorbei.
    »Aber jetzt du!« Kalisse stieß den Beuteldrachen kurzerhand vor sich her. Er taumelte auf den Vorhang aus dicht wuchernden Pflanzenfasern zu und holte gleichzeitig tief Luft, bis seine Lungen zu zerspringen drohten. Dann umfing ihn eisige Kälte. Gerrek hatte das Gefühl, sanft angehoben zu werden.
    Irritiert schlug er die Augen auf, die er eben noch krampfhaft geschlossen hielt. Der Meeresgrund wich tatsächlich unter ihm zurück.
    Ich treibe ab, schoß es ihm durch den Sinn. Wieso bin ich leichter als Wasser? - Indem er heftig mit den Armen ruderte, suchte er auf den Boden zurückzugelangen, um sich dort kräftig in die gewünschte Richtung abzustoßen. Eine seltsame Erregung ergriff Besitz von ihm. Dies hier war eine fremde, tödliche Welt, und doch erweckte sie keineswegs den Eindruck von Gefahr.
    Nur sein eigener Herzschlag klang übermäßig laut, und das Blut rauschte in seinem Schädel. Gerrek verspürte einen stärker werdenden Drang nach Luft. Erschrocken wandte er sich um und mußte feststellen, daß er nicht einmal die Hälfte der zurückzulegenden Entfernung überwunden hatte. Also umkehren?
    Ein dumpfer Laut ließ ihn aufsehen. Omera, ungefähr zwei Körperlängen seitlich vor ihm, wand sich in wilden Zuckungen. Angsterfüllt hatte sie die Augen weit aufgerissen, aus ihrem Mund stieg ein Schwall von Luftblasen empor.
    Schon war Kalisse heran. Aber Omera ließ sich nicht beruhigen, sie umklammerte die Amazone mit der ungeheuren Kraft, die Ertrinkende entwickeln.
    Während Gerrek noch einen lautlosen Kampf mit sich selbst ausfocht, ob er rasch weiterschwimmen, der Kriegerin beistehen oder lieber in den Pferch zurückkehren sollte, weil dort Luft auf ihn wartete, riß die Frau sich los und schwamm mit hastigen Bewegungen auf das Gebäude zu. Kalisse folgte ihr sofort. Den Mandaler hielt nun ebenfalls nichts mehr.
    Alles geschah im Zeitraum von höchstens sechs Dutzend schnellen Herzschlägen. Sosona mußte mittlerweile den Hügel, unter dem der einstige Weg nach Ptaath verlief, erreicht haben.
    Mit beiden Händen begann Omera die Pflanzen zu zerfetzen, die den Pferch einhüllten. Aus einer Fensteröffnung quollen erste dicke Luftblasen hervor und stiegen torkelnd in die Höhe, wo sie als glitzernde Punkte verschwanden. Gleich darauf fiel Kalisse der Frau in den Arm. Verbissen rangen sie miteinander. Die Kriegerin versuchte, Omera ins Innere des Gebäudes zu ziehen, aber es gelang ihr nicht, weil ihre eiserne Hand sie hinderte. Flüchtig gerieten beide in eine der entweichenden Blasen. Gerrek konnte erkennen, daß Kalisse gierig einatmete. Zugleich schob er sich an den Frauen vorbei durchs Fenster. Er spürte, wie das Blut ihm in den Kopf schoß, als er seine Lungen vollsog, und Übelkeit wollte ihn ihm aufsteigen, aber er schaffte es, das
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