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Die Nacht von Granada

Die Nacht von Granada

Titel: Die Nacht von Granada
Autoren: Brigitte Riebe
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sorgfältig die Grundierung aufgetragen hatte. Symbolisch gesehen, ein Mensch, der auf dem Erdboden steht und sich zugleich mit ausgebreiteten Armen nach oben öffnet, um sich vom Göttlichen erfüllen zu lassen – eine Vorstellung, die ihn froh machte, wenn er daran dachte.
    Antonio nahm den Pinsel und rieb ihn kurz an seiner Stirn, um ihn statisch aufzuladen. Dann hielt er den Atem an. Nur so war gewährleistet, dass der Pinsel das zarte Goldblatt auch aufnehmen und exakt auf dem Metall platzieren würde – bis Antonio von der Ladentür her plötzlich einen starken Luftzug spürte, der all seine Vorsichtsmaßnahmen zunichtemachte. Verloren trudelte das Blattgold durch die Werkstatt und setzte sich schließlich am Fensterrahmen fest.
    »Was willst du?« Missmutig starrte er den Mann an, der ihm so störend in die Quere gekommen war. Sie beide teilten ein altes Geheimnis, von dem nur noch eine dritte Person gewusst hatte, doch die war seit Langem tot. Antonio legte keinerlei Wert darauf, daran erinnert zu werden. Deshalb war er erfreut und erleichtert gewesen, dass der andere nach Toledo gezogen war, denn er hatte fest darauf gebaut, dass er damit für immer aus seinem Leben verschwunden sein würde.
    »Begrüßt man so etwa einen alten Freund?«, rief der ungebetene Gast. »Jahrelang haben wir uns nicht mehr gesehen!«
    »Wir waren niemals Freunde. Was willst du?«, wiederholte Antonio. »Und komm rasch zur Sache, denn ich habe zu tun, wie du siehst.«
    »Allerdings.« Gaspars Lächeln geriet dünn. »Schade um die guten alten Zeiten, nicht wahr, Antonio? Damals, als du noch voller Hochmut warst, ein gefragter Meister unseres Handwerks, der dank seiner brillanten Kontakte bei den Heiden auf der roten Burg ein und aus gehen durfte. Niemals hättest du dich damit abgegeben, Silber in billigster Weise auf Gold zu trimmen. Und selbst jetzt haust du noch immer unter den Mauren, als ob nichts geschehen wäre. Muss ich mir ernsthaft Sorgen um dich machen?«
    Antonios dichte Brauen schnellten nach oben. Die Worte hatten ihn getroffen, wenngleich er sich bemühte, es sich äußerlich nicht anmerken zu lassen. Hatte Gaspar etwa Djamila gesehen und Rückschlüsse auf ihre Beziehung gezogen? Unwahrscheinlich, denn sie war Fremden gegenüber ausgesprochen scheu und verließ das Haus nur, wenn es unbedingt notwendig war.
    Er spürte, wie er ruhiger wurde.
    Zudem half es, vor seinem inneren Auge die gütigen Züge von Padre Manolo heraufzubeschwören, Pfarrer von San Nicolás, der ihn gebeten hatte, dem alten Ziborium* ein wenig mehr Glanz zu verleihen. Dass er für seine Bemühungen ein geringes Entgelt erhalten würde, nahm Antonio dem frommen Priester nicht weiter krumm. Es gab niemanden im Viertel, der sich liebevoller um Arme und Kranke kümmerte als Padre Manolo, egal welchem Glauben sie anhingen.
    »Antonio, Antonio…« Gaspar zog sich das schwarze Barett vom Kopf, als wolle er sich häuslich einrichten. Nachdenklich wiegte er seinen kahlen Schädel, der breiter geworden war und mit den vollen roten Wangen und dem ausgeprägten Doppelkinn alles andere als magere Zeiten im Exil verriet. Einen Bauch hatte er auch bekommen, der sich prall über dem Gürtel wölbte und das enge Wams aus grünem Samt schier zu sprengen schien. »Du, der Meister der Feuervergoldung, ertappt bei solch einem Pfusch! Kein Jahr wird diese Beschichtung halten, das kann ich dir schon jetzt prophezeien. Da erscheint es ja geradezu wie eine Fügung Gottes, dass ich heute vor dir stehe.«
    »Du bist aus Toledo zurück?«, sagte Antonio knapp und ärgerte sich, dass er überhaupt gefragt hatte.
    »Gerade mal zwei Wochen und einen Tag! Jetzt, wo die maurischen Teufel für immer aus der Alhambra vertrieben sind und unsere christlichen Majestäten sorgsam über ihre Untertanen wachen, da kann auch ein Gaspar Ortíz endlich wieder die lang ersehnte Luft der Heimat schnuppern.«
    »Und da kommst du ausgerechnet zu mir?«
    »Zu euch, zu dir und deinem Mauren!« Gaspar legte ein Ledersäckchen auf den Tisch. »Mit gutem Grund. Mach auf, mein Freund, aber bitte mit allergrößter Vorsicht! Du wirst staunen.«
    Antonio gehorchte zögernd. Scharf sog er die Luft zwischen die Zähne, als er sah, was da vor ihm lag.
    »Hast du schon jemals zuvor solch einen schönen Hyanzinth* gesehen?« In Gaspars Stimme schwang Stolz. »Schon bald wird er einen schweren Goldring zieren. Allerdings nicht in dieser antiquierten Form. Deshalb bin ich hier. Der Stein soll die neue,
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