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Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Die Nacht in mir: Roman (German Edition)

Titel: Die Nacht in mir: Roman (German Edition)
Autoren: Nancy Baker
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teilte sich die Dunkelheit von ihr wie eine zurückweichende Flut. Sie wartete darauf, dass etwas anderes an seine Stelle trat, aber da war nichts. Keine Angst, kein Schmerz, nicht einmal Entschlossenheit. Nur eine große Leere.
    Ein Grunzlaut entrang sich ihm, als das Schwert in seinen Körper eindrang. Ardeth fühlte, wie der Schmerz durch sie schoss, und griff sich unwillkürlich an den Leib, nur um festzustellen, dass der Schmerz ebenso schnell wieder vergangen war, wie er gekommen war. Er zog sich die Klinge quer über den Bauch, stieß einen qualvollen Atemzug aus und drehte das Schwert dann zur Seite, um es nach oben zu reißen, zu den Rippen hin.
    Die von der Sonne erstrahlte Klinge blitzte nach unten, auf die Hinterseite von Fujiwaras Hals zu. Ardeth schloss instinktiv die Augen. Als sie sich zwang, sie wieder zu öffnen, lag ein lebloses Bündel aus grüner Seide und braunen Gliedern auf dem Boden. Akiko war dabei, etwas in weiße Seide zu hüllen. Blut fing an, die Matte rot zu färben.
    Sie sah zu Rossokow hinüber, der über der kopflosen Leiche stand, immer noch das Schwert in der Hand. Er blickte auf, und seine Augen begegneten den ihren. Leid stand in ihnen, aber dahinter war auch eine merkwürdige Erleichterung zu erkennen. Ich werde das vielleicht eines Tages für ihn tun müssen, dachte sie mit schrecklicher Klarheit. Vielleicht werde ich ihm eines Tages sekundieren müssen, wenn er einmal beschließt, sein eigenes Leben zu nehmen.
    Ihre Füße bewegten sich, während ihre Augen sich erneut mit Tränen füllten. Sie wussten, welchen Weg sie zu gehen hatten, selbst wenn ihr Verstand das nicht wusste. Das Schwert fiel aus Rossokows Händen, und er schloss Ardeth in die Arme, als ob sie diese nie verlassen hätte. Eine Weile waren die alten Schmerzen inmitten des neuen vergessen.
    Als sie sich voneinander lösten, stand Yamagata da, die fallen gelassenen Schwerter in beiden Händen haltend. »Sie gehören Ihnen. Er hat Sie als Sekundanten gewählt. Sie gehören Ihnen«, erklärte er, aber Rossokow schüttelte den Kopf. »Er hat Ihnen sein Imperium hinterlassen. Sie gehören Ihnen. Mir hat er genügend Geschenke gemacht«, sagte Rossokow, und Yamagata starrte ihn einen Augenblick lang an und nickte dann.
    »Wir werden uns um die Leiche kümmern.« Er sah zu den Mitgliedern seiner Gang, die bereits angefangen hatten, die blutbesudelte Matte einzurollen.
    »Glauben Sie, dass es irgendwelche Probleme geben wird?«, fragte Ardeth, die dabei an Sterbeurkunden und Autopsien dachte. Yamagata sah sie mit einem grimmigen Lächeln an.
    »Nichts, was ich nicht erledigen könnte.« Die Verzweiflung der Nacht zuvor war dahin, und an ihre Stelle war das Selbstvertrauen getreten, das ihm seinen Aufstieg in den Rängen der Yakuza ermöglicht haben musste. Er ist jetzt Oyabun , dachte sie, und er findet Gefallen daran. Für den Augenblick ist das für ihn genug.
    Sie wandte sich von den schwarz gekleideten Gestalten ab, die neben der Leiche kauerten. Irgendwie schien es ihr unwürdig, dass er eine Leiche hinterlassen musste. Besser wäre es, wenn wir uns einfach in Staub verwandeln würden, dachte sie, wie in den Filmen. Sie blickte über den See. Die Sonne war hinter den Zacken der Berge verschwunden und hatte nur eine blutige Linie aus Licht hinterlassen, die sie säumte.
    »Willst du nach Hause gehen?«, fragte Rossokow leise, und sie nickte.
    »Ja.«

39
     
    Mark Frye sperrte die Tür des Geschäfts ab und steckte den Schlüssel in die Tasche. Auf der Banff Avenue herrschte Ruhe – bloß ein paar Touristen, die nach dem Abendessen zu ihren Hotels unterwegs waren, und einige wenige Einheimische auf dem Weg in die Videothek oder ihre Stammkneipe waren zu sehen. Als er sich dabei ertappte, wie er zum Himmel aufblickte, grinste er bedauernd. Jetzt, wo es ihm eigentlich egal sein konnte, ob der Himmel klar war oder nicht, schienen ihm die meisten Nächte bewölkt zu sein.
    Er hatte es nicht besonders eilig, nach Hause zu kommen. Peter, sein WG-Mitbewohner, hatte seine Freundin zu Besuch und würde ohne Zweifel dankbar sein, wenn Mark sich erst am nächsten Morgen wieder sehen ließ.
    Er sah auf die Uhr. Es war beinahe halb elf, zu spät fürs Kino oder um sich eine Zeitschrift in der Buchhandlung zu kaufen, aber er hatte die Globe and Mail von gestern in seiner Tasche, und die würde ihm in einem Café eine Weile die Zeit vertreiben …
    Er registrierte die Schritte, die hinter ihm hergingen, noch bevor er seinen
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