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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman
Autoren: Fred Vargas
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dem er am Ertrinken war. Sie hat ihm das Leben gerettet.«
    Der Arzt nickte lange.
    »Das genügt mir«, sagte er.
    »Wann könnte ich sie sehen?«
    »Schon gleich. Aber befragen erst morgen früh. Wer hat ihr nur diese unmöglichen Bücher mitgebracht? Eine groteske Liebesgeschichte und ein Buch über Pferdeheilkunde. Unglaublich!«
    »Ich fand die Liebesgeschichte sehr schön«, sagte die Krankenschwester.
     
    Adamsberg lief noch einmal über den Weg von Bonneval, zur Kapelle von Saint-Antoine hinauf, schließlich die Straße zum Alten Gänsebrunnen, so dass er ziemlich erschöpft zum Abendessen in der
Wildsau
ankam, sei sie nun blau oder rasend. Zerk, der von seiner romantischen Italienreise zurück war, rief ihn während des Essens aus Paris an, um ihm mitzuteilen, dass Hellebaud abgehoben habe und nun wirklich weg sei. Eine großartige Nachricht, aber Adamsberg hörte doch eine gewisse Ratlosigkeit aus der Stimme seines Sohnes heraus.
    Schon um sieben Uhr morgens hatte er sein letztes kleines Frühstück unter den Apfelbaum getragen. Er wollte den Beginn der Besuchszeit nicht verpassen, er wollte nicht, dass Commandant Bourlant vor ihm bei Léo wäre. Mit Unterstützung Dr. Merlans und der Krankenschwester hatte er erreicht, dass man ihm dreißig Minuten vor der offiziellen Zeit das Tor öffnete. Mit dem Zucker versöhnt, tat er gleich zwei Stück in seinen Kaffee, dann schloss er gewissenhaft die Dose und spannte das Gummi herum.
    Um 8 Uhr 30 machte ihm die Krankenschwester diskret das Krankenhaustor auf. Léo erwartete ihn, sie saß bereits angekleidet in einem Sessel. Dr. Merlan hatte schon fürheute ihre Entlassung genehmigt. Es war vereinbart, dass um die Mittagszeit Brigadier Blériot zusammen mit Flem sie abholen würde.
    »Sie sind sicher nicht nur um des Vergnügens willen hier, mich zu sehen, nicht wahr, Kommissar? Wie gemein von mir«, korrigierte sie sich sofort. »Sie waren es ja, der mich ins Krankenhaus gebracht hat, Sie haben bei mir gewacht, Sie haben diesen Arzt besorgt. Wo praktiziert er eigentlich?«
    »In Fleury.«
    »Merlan hat mir erzählt, dass Sie mich sogar gekämmt haben. Sie sind nett.«
    Wir sind nett,
erinnerte sich Adamsberg und sah die Gesichter der Vendermot-Kinder vor sich, zwei blonde, zwei dunkelhaarige, und es stimmte ja auch beinahe. Er hatte Dr. Merlan aufgetragen, Léone vor allem nichts von der Verhaftung Émeris zu erzählen. Er wollte ihre Aussage ganz und gar unbeeinflusst.
    »Das stimmt, Léo. Ich will es wissen.«
    »Louis«, murmelte Léo. »Es war mein kleiner Louis.«
    »Émeri?«
    »Ja.«
    »Werden Sie’s aushalten, Léo?«
    »Ja.«
    »Was ist passiert? Was war mit dem Zucker? Denn das haben Sie zu mir gesagt: ›Eylau‹ – nach dem Namen der Schlacht –, ›Flem‹ und ›Zucker‹.«
    »Ich erinnere mich nicht. Wann war das?«
    »Zwei Tage nach dem Überfall.«
    »Nein, das sagt mir nichts. Aber das Problem mit dem Zucker, ja, das stimmte. Das letzte Mal war ich zehn Tage zuvor bei Saint-Antoine gewesen, und ich hatte nichts bemerkt.«
    »Also vor dem Verschwinden von Herbier.«
    »Ja. Und an dem Tag, an dem ich Sie getroffen habe, als ich auf Flem wartete, habe ich da vor dem Baumstamm alle diesekleinen weißen Papiere auf dem Boden liegen sehen. Ich habe sie unters Laub geschoben, weil es so hässlich aussah, mindestens sechs Stück habe ich gezählt. Am nächsten Morgen musste ich wieder daran denken. Es geht doch nie einer über den Weg von Bonneval, Sie wissen das. Ich fand es merkwürdig, dass jemand sich ausgerechnet zum Zeitpunkt von Herbiers Ermordung dort herumgetrieben hatte. Und ich kenne nur einen Menschen, der sechs Stück Zucker hintereinander isst. Und der die Papiere nicht zerknüllt. Louis. Er hat manchmal diese Unterzuckerungskrisen, verstehen Sie, Zustände, wo er wieder auf die Beine kommen muss. Am nächsten Tag also habe ich mich gefragt, ob Louis dort vorbeigekommen war, ob er die Leiche im Wald gesucht hatte und, wenn es so war, warum er es dann nicht gesagt hatte und, vor allem, warum er sie nicht gefunden hatte. Ich war neugierig und habe ihn angerufen. Hätten Sie nicht eine Zigarre, Kommissar? Ich habe schon tagelang nicht geraucht.«
    »Ich habe eine zerdrückte Zigarette.«
    »Die wird’s auch tun.«
    Adamsberg öffnete weit das Fenster und gab Léo die Zigarette und Feuer.
    »Danke«, sagte Léo und blies den Rauch aus. »Louis sagte, er komme vorbei. Gleich als er eintrat, hat er sich auf mich geworfen. Ich weiß nicht,
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