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Die Nacht des Zorns - Roman

Die Nacht des Zorns - Roman

Titel: Die Nacht des Zorns - Roman
Autoren: Fred Vargas
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beeilen, Madame Vendermot. Ihre Tochter hat ihn gesehen, und irgendwas hat sie auf den Gedanken gebracht, er würde ermordet werden?«
    »Ja. Er schrie. Und noch drei andere waren mit ihm. Es war in der Nacht.«
    »Gab es eine Schlägerei? Wegen der Hirschkühe und der Rebhühner? Während einer Versammlung? Bei einem Essen unter Jägern?«
    »O nein.«
    »Kommen Sie morgen wieder oder später noch einmal«, sagte Adamsberg schließlich, während er zur Tür ging. »Kommen Sie wieder, wenn Sie reden können.«
    Danglard erwartete den Kommissar, mit verdrossener Miene auf einer Ecke seines Schreibtischs sitzend.
    »Haben wir das Mädchen?«, fragte Adamsberg.
    »Die Jungs haben sie aus einem Baum heruntergeholt. Sie war ganz nach oben geklettert, wie ein junger Jaguar. Sie hält eine Rennmaus in den Händen, die will sie nicht loslassen. Die Rennmaus scheint okay zu sein.«
    »Eine Rennmaus, Danglard?«
    »Ein kleines Nagetier. Die Kinder sind verrückt danach.«
    »Und die Kleine? In welcher Verfassung ist sie?«
    »Ungefähr wie Ihre Taube. Ausgehungert, durstig und todmüde. Sie wird versorgt. Eine der Krankenschwestern weigert sich, ihr Zimmer zu betreten, wegen der Rennmaus, die sich unters Bett geflüchtet hat.«
    »Hat sie eine Erklärung für ihre Tat?«
    »Nein.«
    Danglard antwortete reserviert, er kaute auf seinen Sorgen herum. Der Tag ließ sich nicht sehr gesprächig an.
    »Weiß sie, dass ihr Großonkel noch mal davongekommen ist?«
    »Ja. Sie schien erleichtert und zugleich enttäuscht. Sie lebte ganz allein da drin mit ihm seit wer weiß wie lange, sie hat noch nie einen Fuß in die Schule gesetzt. Wir sind überhaupt nicht mehr sicher, ob er ein Großonkel ist.«
    »Gut, wir übergeben die Fortsetzung an Versailles. Aber sagen Sie dem Lieutenant, der die Sache übernimmt, er soll die Rennmaus der Kleinen nicht töten. Man soll sie in einen Käfig tun und mit Nahrung versorgen.«
    »Ist das so dringend?«
    »Gewiss, Danglard, vielleicht ist die Maus alles, was das Kind hat. Einen Moment.«
    Adamsberg eilte zum Büro von Retancourt, die dabei war, die Beine der Taube mit Wasser zu benetzen.
    »Haben Sie sie desinfiziert, Lieutenant?«
    »Immer langsam«, erwiderte Retancourt, »ich musste sie erst rehydrieren.«
    »Sehr gut, und werfen Sie die Schnur nicht weg, ich will Proben davon nehmen lassen. Justin hat den Techniker schon bestellt, er ist auf dem Weg.«
    »Sie hat auf mich draufgeschissen«, bemerkte Retancourt seelenruhig. »Was will sie, diese kleine Frau?«, fragte sie und deutete auf sein Büro.
    »Irgendetwas sagen, was sie nicht sagen will. Die Unschlüssigkeit in Person. Sie wird von allein gehen, oder wir schmeißen sie bei Büroschluss raus.«
    Retancourt zuckte ein wenig verächtlich die Schultern, Unschlüssigkeit war ein Phänomen, das ihrer Handlungsweise fremd war. Von daher besaß sie eine Antriebsdynamik, welche die der siebenundzwanzig anderen Mitglieder der Brigade bei weitem übertraf.
    »Und Veyrenc? Ist der auch immer noch unschlüssig?«
    »Veyrenc hat sich seit langem entschieden. Bulle oder Lehrer, was würden Sie machen? Unterrichten ist eine Tugend, die verbittert. Bullenarbeit ist ein Laster, das überheblich macht. Und da es leichter ist, eine Tugend aufzugeben als ein Laster, hat er keine Wahl. Ich seh mal nach dem sogenannten Großonkel im Krankenhaus von Versailles.«
    »Was machen wir mit der Taube? Bei mir zu Hause kann ich sie nicht behalten, mein Bruder ist allergisch gegen Federn.«
    »Ihr Bruder lebt bei Ihnen?«
    »Vorübergehend. Er hat seinen Job verloren, er hat eine Kiste mit Bolzen in der Garage geklaut, und ein paar Ölkännchen.«
    »Können Sie ihn heute Abend bei mir vorbeibringen? Den Vogel, meine ich.«
    »Kann ich«, brummte Retancourt.
    »Passen Sie auf, im Garten stromern Katzen herum.«
    Die Hand der kleinen Frau legte sich schüchtern auf seine Schulter. Adamsberg wandte sich um.
    »Ja?«
    »In jener Nacht«, sagte sie langsam, »hat Lina das Wütende Heer vorüberreiten sehen.«
    »Wen?«
    »Das Wütende Heer«, wiederholte die Frau mit leiser Stimme. »Und Herbier war unter ihnen. Und er schrie. Und noch drei andere.«
    »Ist das ein Verein? Irgendwas, das mit der Jagd zu tun hat?«
    Madame Vendermot sah Adamsberg ungläubig an.
    »Das Wütende Heer«, sagte sie wieder sehr leise. »Die Wilde Jagd. Sie wissen nicht?«
    »Nein«, sagte Adamsberg und hielt ihrem erstaunten Blick stand. »Kommen Sie ein andermal wieder, dann erklären Sie es
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