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Die Nacht der Wölfe

Die Nacht der Wölfe

Titel: Die Nacht der Wölfe
Autoren: Christopher Ross
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Bräutigam: ›Meine Dolly ist der wertvollste Nugget, den ich je gefunden habe.‹«
    Obwohl Dolly neu in Fairbanks war, feierten über hundert Gäste mit ihr und ihrem Mann. Dafür sorgte vor allem Jerry, der so ziemlich alle Iren, die er in der Stadt und den umliegenden Camps auftreiben konnte, ins Roadhouse einlud. Damit das Gleichgewicht während der Feier nicht gestört wurde, meldeten sich zahlreiche Engländer bei Dolly und überredeten sie, möglichst viele von ihnen auf die Gästeliste zu setzen. Man wüsste doch, wie leicht es auf einer Hochzeit zwischen einer Engländerin und einem Iren zu einer Schlägerei kommen konnte, und man wollte wenigstens für gleiche Chancen sorgen.
    Natürlich erschienen auch die prominenten Bürger von Fairbanks: E.T. Barnette, der Besitzer des Handelspostens und Gründer der Stadt. Doc Boone, Arzt und Leiter des Krankenhauses. William E. Flemming, der Banker, der sich zur Feier des Tages seine schönste Fliege umgebunden hatte. George M. Hill, der Redakteur der Weekly Fairbanks News, der lediglich bedauerte, noch keinen Fotografen eingestellt zu haben und auch nicht – wie die großen Zeitungen in San Francisco oder New York – über die technischen Möglichkeiten zu verfügen, ein Bild des Brautpaares in seiner Zeitung zu veröffentlichen.
    Reverend O’Neill war ein übergewichtiger Mann um die Fünfzig, der anscheinend unter hohem Blutdruck litt und sich ständig mit einem Taschentuch über die Stirn wischte, sich aber auch zu einer längeren Ansprache verpflichtet fühlte und die Zukunft des »ungleichen Brautpaares«, wie er die Verbindung zwischen einer Engländerin und einem Iren nannte, in salbungsvollen Worten schilderte.
    Seine Ansprache war so ermüdend und zog sich so sehr in die Länge, und die Engländer im Gastraum des Roadhouse rissen sich ohnehin schon zusammen, weil ihnen der irische Dialekt des Mannes gewaltig auf die Nerven ging, dass ausgerechnet ein irischer Holzfäller die Iniative ergriff und vorwurfsvoll rief: »Wie lange wollen Sie denn noch sabbern, Reverend? Geben Sie den beiden endlich den Segen, damit sie sich küssen können!«
    So geschah es, und was dann folgte, war eine Hochzeitsfeier, wie sie der Norden noch nie gesehen hatte. Gleich nach dem Kuss legte die Kapelle los, eigentlich ein ganzes Orchester, denn es gab mehr Musiker unter den Goldsuchern, als die meisten glaubten, und der Gastraum wurde zu einer lauten Tanzhalle, wie man sie eher in Cork, Ireland, oder Liverpool, England, vermutet hätte. Das Bier floss in Strömen, auch Whiskey und sogar französischer Champagner wurden serviert, und dazu spendierte die Witwe Bowles ihr legendäres Irish Stew und einen halben Elch, der in größeren Portionen über mehreren Feuern schmorte. Einige wagemutige Hochzeitsgäste feierten sogar draußen im Schnee, und statt der befürchteten Schlägerei gab es eine wilde Schneeballschlacht zwischen Iren und Engländern, die unentschieden endete.
    Clarissa zog sich früh zurück, sie freute sich für Dolly, die endlich wieder lachen und in eine verheißungsvolle Zukunft blicken konnte, war aber viel zu verstört, um an der ausgelassenen Feier teilzunehmen. Immer noch schwankte sie zwischen der bitteren Erkenntnis, Alex für immer verloren zu haben, und der leisen Hoffnung, an ihrem Traum könnte doch etwas Wahres sein. Den Abend tanzend und singend und lachend zu verbringen, hätte sie als Verrat an ihrem Mann empfunden.
    Zu ihrer Überraschung sah sie Betty-Sue mit einer Pelzjacke über ihrem Kleid und mit Mütze und Handschuhen unter den Bäumen stehen. Ihr Blick war auf den Mond gerichtet, der prall wie selten am Himmel glänzte und sogar die unendlich vielen Sterne blass aussehen ließ. »Betty-Sue!«, rief Clarissa. »Feierst du nicht mit den anderen? Du wirst dort unten dringend gebraucht, die freuen sich über jede Frau, die den Männerüberschuss wenigstens ein bisschen drückt. Wer weiß, vielleicht ist dein Traummann darunter.«
    Betty-Sue blickte sie wehmütig an. »Meinen Traummann hab ich schon gefunden, Clarissa. Ich hab mich dagegen gewehrt, ihn zu lieben, ich hab ihm sogar gesagt, dass ich nichts mehr von ihm wissen will, aber als ich merkte, dass er daran dachte, mich für immer zu verlassen und nach Norden zu ziehen, habe ich ihn gebeten zu bleiben. Er hat mir gesagt, dass du ihn gewarnt hast, sich mit einer weißen Frau einzulassen. Ich bin dir deswegen nicht böse. An deiner Stelle hätte ich genauso gehandelt. Aber ich denke nicht
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