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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut
Autoren: Hans Waal
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Busch schnaufte schon hörbar. Am Himmel braute sich auch etwas zusammen. Und vorsorglich regelte ich schon mal das Mikrofon auf Null herunter, was meine Trommelfelle schonen würde, falls Busch gleich explodierte.
    Den Interviews schadete das nicht, denn die Kamera lief schon seit einer Stunde nicht mehr mit. Busch hatte sie einfach ausgeschaltet und tat nur noch so, als würde er den ganzen Quatsch gewissenhaft aufnehmen. Nicht mal das hatte sie gemerkt. Aber niemand wollte nachher im Schnitt wegen anderthalb Minuten Ostermarsch stundenlang Material sichten - vorausgesetzt, der Beitrag hatte überhaupt eine Chance, in die Nachrichten zu kommen.
    »Was glotzt du denn so«, knurrte Busch, als der Kanon ungefähr in die 20. Runde ging. Er sah dabei nicht mal vom Sucher auf, aber sein Bart vibrierte deutlich. Und er meinte mich.
    »Nichts. Ich dachte nur... Brauchst du vielleicht irgendwas aus dem Auto? «
    Busch drehte sich mitten im Interview so abrupt zu mir um, dass es Jenny - vor Schreck fiel mir sogar ihr richtiger Name wieder ein - das Mikrofon aus der Hand riss.
    »Was soll ich denn jetzt bitte aus dem Auto brauchen?! «
    »Stativ, Regenschirm. Keine Ahnung. War doch nur nett gemeint, Mann! «
    Auf mein Stichwort vom Regenschirm begann es prompt zu nieseln. Möglicherweise hatten mich auch erst die ersten Tropfen darauf gebracht. Busch allerdings wusste genauso gut wie ich, was gemeint war. Und wenn er etwas noch mehr hasste als Drehen mit Küken oder Stativ, dann genau solche Andeutungen. Er brauchte mir das nicht noch einmal »ein für alle Mal« zu erklären. Ich sah es auch so unter seiner Nase beben und hatte meinen Kopf schon eingezogen, als Jenny dazwischenging.
    »Geht’s noch? «
    Mehr sagte sie nicht, aber lächelte wie eine Grundschullehrerein. Ganz still war es plötzlich auf der Lichtung, der Kanon aus, keine Redner mehr. Und wahrscheinlich nahm ich Jenny in diesem Moment sogar das erste Mal richtig wahr:
    Sie trug weder eine gesteppte Jacke noch Reiterhosen, sondern einfache blaue Jeans. Den ganzen Tag hatte sie noch nicht einmal »großes Kino« gesagt und unser muffliges Schweigen geradezu professionell ertragen. Erst hatte ich das mit Schüchternheit verwechselt - aber nun war klar: Sie dachte gar nicht an uns, sondern nur an ihren Beitrag. Geht’s noch? So einfach war das. Und obwohl sie sicher nicht mal ahnte, worum es ging, ließ Busch sofort von mir ab.
    »Selbstverständlich«, sagte er, bückte sich nach dem Mikro und überreichte es ihr wie einen Blumenstrauß. Fehlt eigentlich nur noch, dass er sich entschuldigte. Aber da prasselte zu seinem Glück der Regen richtig los.
    Jenny rannte als Erste los. Busch versuchte, die Kamera unter seiner Jacke zu verbergen, und wenig später drängelten wir uns alle unter das schmale Dach des Imbisswagens. Jeder schnaufte, tropfte, fluchte. Jenny aber nutzte die Enge sofort für ihr nächstes Interview. Busch parierte und ich konnte es kaum glauben: War das noch Gerd oder nur ihr Hintern?
    Der Pfarrer hieß Kuhn, schüttelte seinen nassen Talar und wollte erst nicht vor die Kamera, weil ihm seine letzten Haare kreuz und quer über der Stirn klebten. Busch half ihm mit einem Kamm. Und dann erfuhren wir doch noch, worum es in diesem Wald eigentlich ging. Möglicherweise hörte ich auch nur das erste Mal richtig zu, denn Busch hatte die Kamera diesmal an und ich musste auf den Ton achten.
    Die Lichtung, so der Pfarrer, gehörte zu einem riesigen Sperrgebiet, dem sogenannten »Bombodrom«: Über 140 Quadratkilometer Wald und Heide, das sollten wir uns mal vorstellen - seit Jahrzehnten Kriegsspielplatz. Schon die Nazis hätten Teile davon militärisch genutzt. Dann waren die Russen gekommen und hatten die Landschaft mit Bomben und Artillerie umgepflügt. Die Bundeswehr hätte mit ihren Jagdbombern am liebsten nahtlos weitergemacht, nur hatte niemand mit dem Widerstand der umliegenden Dörfer gerechnet. Deren Einwohner schossen seit der Wende und dem Abzug der Roten Armee mit Demonstrationen und Prozessen zurück. Sie hatten genug von Lärm und wackelnden Häusern und wollten in dem verbotenen Wald wieder Pilze sammeln. »Freie Heide« hieß ihre Bürgerinitiative. Und dass Deutschland Bombenübungsplätze nicht mehr bräuchte, war lange kein schlechtes Argument vor den Gerichten gewesen.
    »Seit ein paar Jahren dürfen sie nichts mehr abwerfen«, sagte Pfarrer Kuhn voller Stolz, »nur noch fliegen .« Doch während sich der Streit mühsam von einer
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