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Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs

Titel: Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
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hämmerte sie noch schneller und fester. Als ich sie vom Klavierhocker fortzuziehen versuchte, begann sie zu brüllen, zu weinen und wild um sich zu treten.
    Eine Viertelstunde später brüllte, weinte und trat sie immer noch, und mir reichte es. Den strampelnden Füßen ausweichend, zerrte ich den kreischenden Dämon zur hinteren Verandatür und riss sie auf.
    Draußen herrschten sechs Grad unter null, und mir brannte in der eiskalten Luft schon nach ein paar Sekunden das Gesicht. Aber ich war entschlossen, ein gehorsames chinesisches Kind zu erziehen, und sollte es mich umbringen. Im Westen wird Gehorsam oft mit Hunden und dem Kastensystem in Verbindung gebracht, in der chinesischen Kultur jedoch gilt er als eine der höchsten Tugenden. «Du kannst nicht im Haus bleiben, wenn du nicht auf die Mama hörst», sagte ich streng. «Wirst du jetzt ein braves Mädchen sein? Oder willst du raus?»
    Lulu trat hinaus. Trotzig sah sie mich an.
    Eine dumpfe Furcht breitete sich in mir aus. Lulu trugnur einen Pullover, einen Faltenrock, eine Strumpfhose. Sie weinte nicht mehr. Im Gegenteil, sie war unheimlich still.
    «Okay, gut, du willst dich also anständig aufführen», sagte ich rasch. «Dann kannst du jetzt wieder reinkommen.»
    Lulu schüttelte den Kopf.
    «Sei nicht dumm, Lulu.» Ich fühle Panik in mir aufsteigen. «Es ist eiskalt. Du wirst doch nur krank. Komm jetzt rein!»
    Lulus Zähne klapperten, aber sie schüttelte wieder den Kopf. Und mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Ich hatte Lulu unterschätzt, hatte nicht begriffen, aus welchem Holz sie ist. Sie würde lieber erfrieren als nachgeben.
    Ich musste auf der Stelle die Taktik wechseln; auf diese Weise konnte ich nicht gewinnen. Außerdem konnte mich das Jugendamt in die Pflicht nehmen. Fieberhaft nachdenkend, vollführte ich eine Kehrtwende: Jetzt bat ich, flehte, verhätschelte, bestach sie, nur damit sie ins Haus zurückkam. Als Jed und Sophia heimkamen, fanden sie Lulu zufrieden in der Badewanne, wo sie Schokokuchen mit Marshmallows in heißen Kakao tunkte.
    Aber Lulu hatte auch mich unterschätzt. Ich rüstete neu auf. Die Fronten waren abgesteckt, nur wusste sie das noch nicht.

4     Die Chuas
     
    Mein Nachname lautet Chua – Cài auf Mandarin –, und ich bin sehr stolz auf ihn. Meine Familie stammt aus der südchinesischen Provinz Fujian, die für ihre vielen Geistes- und Naturwissenschaftler berühmt ist. Einer meiner direkten Vorfahren auf väterlicher Seite, Chua Wu Neng, war Philosoph und Dichter, außerdem Hofastronom des Ming-Kaisers Shen Zong. Wu Neng, der offenbar über ein weites Spektrum an Fähigkeiten verfügte, wurde 1644 angesichts des drohenden Einmarsches der Mandschuren vom Kaiser zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte ernannt. Das kostbarste – eigentlich unser einziges – Familienerbstück ist eine zweitausend Seiten starke handschriftliche Abhandlung von Wu Neng über das I Ging, das Buch der Wandlungen, einen der ältesten chinesischen Klassiker. Auf meinem Couchtisch liegt heute, würdig zur Schau gestellt, ein ledergebundenes Exemplar von Wu Nengs Traktat, auf dem Buchdeckel das Schriftzeichen für «Chua».
    Alle meine Großeltern wurden in Fujian geboren, und alle wanderten zu verschiedenen Zeitpunkten der zwanziger und dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts per Schiff auf die Philippinen aus, wo sie sich bessere Chancen versprachen. Mein Großvater mütterlicherseits war ein freundlicher, sanftmütiger Schullehrer, der Reishändler wurde, um seine Familie ernähren zu können. Religiös war er nicht, und er war auch kein begnadeter Geschäftsmann. Seine Frau, meine Großmutter, war eine wahre Schönheit und fromme Buddhistin, doch trotz der Lehren der von ihr verehrten Göttin Guanyin wider den Materialismus hat sie sich oft gewünscht, ihr Mann hätte mehr Erfolg.
    Mein Großvater väterlicherseits, ein gutmütiger Mann, der mit Fischpasten handelte, war ebenfalls nicht religiös und ebenfalls kein geborener Geschäftsmann. Seine Frau, meine Dragon-Lady-Großmutter, machte nach dem Zweiten Weltkrieg ein Vermögen mit Plastik; ihren Gewinn investierte sie in Goldbarren und Diamanten. Nachdem sie wohlhabend geworden war – ihr Durchbruch war, dass sie sich als Verpackungslieferantin für den Pharmazie- und Konsumgüterproduzenten Johnson & Johnson etablieren konnte –, erstand sie eine ausgedehnte Hazienda in einem der nobleren Viertel von Manila und verbannte meinen Großvater in den Keller. Sie und ihre
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