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Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs

Titel: Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
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versuchte ich von Sophia und Lulu so viel Respekt zu fordern wie einst meine Eltern von mir. Darin hatte ich am wenigsten Erfolg. Als Kind war meine größte Angst, ich könnte das Missfallen meiner Eltern erregen. Sophiaund vor allem Lulu schert mein Missfallen wenig. Offenbar vermittelt Amerika den Kindern etwas, das der chinesischen Kultur fehlt: Dort fiele es keinem Kind ein, Anweisungen zu hinterfragen, ungehorsam zu sein oder den Eltern zu widersprechen. In der amerikanischen Kultur punkten die Kinder mit Aufmüpfigkeit und frechen Antworten – so erzählen es alle Bücher, Fernsehprogramme, Filme. Und dort sind es typischerweise die Eltern, die eine Lektion fürs Leben brauchen: von ihren Kindern.

6     Circulus virtuosus
     
    Sophias drei erste Klavierlehrer waren leider Fehlgriffe. Die erste kam, als Sophia drei war, eine mürrische alte Russin aus der Nachbarschaft, die Elina hieß. Sie trug einen formlosen Rock und Kniestrümpfe und schien sich die Sorgen der Welt auf die Schultern geladen zu haben. Ihre Vorstellung von Klavierunterricht bestand darin, dass sie zu uns kam und eine Stunde auf dem Klavier vor sich hin spielte, während Sophia und ich auf dem Sofa saßen und dem Ausdruck ihres tiefen Kummers lauschten. Nach dieser ersten Stunde hatte ich das Bedürfnis, den Kopf in den Ofen zu stecken; Sophia spielte mit Papierpuppen. Dennoch brachte ich es nicht über mich, Elina direkt abzusagen, weil ich fürchtete, sie könnte wehklagend über dem erstbesten Möbelstück zusammenbrechen. Stattdessen sagte ich, wir seien ungeheuer gespannt auf die nächste Stunde, und ich würde mich bald mit ihr in Verbindung setzen.
    Der nächste Lehrer, mit dem wir es probierten, war eine sonderbare kleine Person mit kurzem Haar und runder Nickelbrille, die sich MJ nannte und beim Militär gewesen war. Ob MJ männlich oder weiblich war, wussten wir nicht; jedenfalls trat es stets mit Anzug und Fliege auf, und mir gefiel die sachliche Art, die es hatte. Bei unserer ersten Zusammenkunft teilte uns MJ mit, Sophia sei eindeutig musikalisch. Leider war MJ nach drei Wochen verschwunden. Als wir wie gewohnt zum Unterricht erschienen, war von MJ keine Spur mehr, und in seinem Haus wohnten fremde Leute mit völlig anderen Möbeln.
    Unser dritter Lehrer war ein sanfter, breithüftiger Jazzer namens Richard, der laut eigenem Bekunden eine zweijährigeTochter hatte. Bei unserem ersten Treffen hielt er Sophia und mir einen langen Vortrag, wie wichtig es sei, im Augenblick zu leben und für sich selber Musik zu machen. Anders als herkömmliche Lehrer glaubte er nicht an Lehrbücher, die andere geschrieben hatten, sondern legte Wert auf Improvisation und Ausdruck der eigenen Persönlichkeit. In der Musik gebe es keine Regeln, sagte Richard, wichtig sei nur, was vom Gefühl her gut sei, niemand habe das Recht, einen zu beurteilen, und die Welt des Klaviers sei von kommerziellem Denken und mörderischem Wettbewerb zerstört worden. Armer Kerl – ich nehme an, es fehlte ihm einfach das nötige Rüstzeug.
    Mir wiederum, als erstgeborener Tochter chinesischer Einwanderer, fehlt das Verständnis für Improvisation und selbsterfundene Regeln. Es gilt einen Familiennamen hochzuhalten, alternde Eltern wollen stolz auf ihr Enkelkind sein. Ich schätze klare Ziele und klare Maßstäbe für Erfolg.
    Deshalb gefällt mir die Suzuki-Methode des Klavierunterrichts. Es gibt sieben Bände, und jeder Schüler beginnt mit Band eins. Jeder Band enthält zehn bis fünfzehn Lieder, und man muss streng der Reihe nach vorgehen. Kinder, die fleißig üben, bekommen jede Woche ein neues Lied auf, während Kinder, die nicht üben, wochen-, ja monatelang an ein und demselben Lied festkleben und manchmal einfach deshalb aufgeben, weil sie sich schlicht zu Tode langweilen. Tatsache ist jedenfalls, dass manche Kinder viel schneller als andere die Suzuki-Bände durcharbeiten, weshalb eine fleißige Vierjährige einer Sechsjährigen voraus sein kann und eine Sechsjährige einer Sechzehnjährigen und so weiter – das ist der Grund, weshalb das Suzuki-System in dem Ruf steht, «Wunderkinder» hervorzubringen.
    So ging es mit Sophia. Als sie fünf war, hatten wir eine phantastische Suzuki-Lehrerin namens Michelle gefunden, die in New Haven innerhalb eines Instituts, das sich die Neighborhood Music School nannte, die Musikschule im Quartier, ein großes Klavierstudio leitete. Mit Geduld und Einfühlsamkeit brachte sie Sophia dem Klavier nahe – sie schätzte
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