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Die Moralisten

Titel: Die Moralisten
Autoren: Unbekannter Autor
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am Fuß der Treppe um die Ecke bog, bemerkte er flüchtig eine schattenhafte Gestalt. Im Begriff weiterzulaufen, sah er die gestreckt erhobene Hand niedersausen. Er versuchte noch, sich abzudrehen, doch dem Schlag gegen seinen Hals konnte er nicht mehr ausweichen. Ein furchtbarer Schmerz fuhr ihm bis in die Schulter, er knickte in die Knie.
    Ganz bewußtlos war er nicht. Funken tanzten ihm vor den Augen, und in seinem Kopf dröhnte es. Wie im Fernsehen, dachte er halb betäubt. Als er den Kopf schüttelte, wurde sein Blick wieder klarer.
    Er stemmte eine Hand gegen die Treppenmauer und erhob sich schwerfällig. Ihm war schwindlig. Eine Sekunde stand er still und spähte den Bahnsteig entlang. Da sah er sie mitten in einer Schar von Passagieren in den Zug einsteigen. Er gab sich einen Ruck und wollte ihnen folgen. Doch bevor er an den
    Waggon gelangte, schlossen sich die Türen, und der Zug fuhr ab. Durchs Fenster sah er noch das Gesicht des Mannes, der ihn lächelnd anblickte.
    Erschöpft machte er kehrt und wankte zur Telefonzelle, sank gegen die Wand und warf die Münze ein. Daß der Captain jetzt wütend wurde, war klar, aber er hätte ihm vorher sagen sollen, wie dieser Kerl zuschlagen konnte. Er wählte die Nummer.
    Strang legte den Hörer auf die Gabel und sagte grimmig zu Baker: »Ihr Plan hat sich bewährt, aber allzu gut. Der Kerl hat McGowan auf einem Bahnsteig der Untergrund fast k. o. geschlagen und ist ihm entwischt.«
    »Auch die Frau?« fragte Baker.
    Strang nickte. »Die auch.«
    Baker griff nach einer Zigarette. Seine Finger zitterten. »Der Himmel sei den beiden gnädig, wenn die Killer sie eher entdecken als wir!«
    »Wenn’s dazu kommt, tippen Sie lieber gleich Ihr Rücktrittsgesuch«, sagte Strang düster. »Meines habe ich schon im obersten Schreibtischfach liegen.«
    »Ich meines auch«, sagte Baker.
    Fünfundzwanzigstes Kapitel
    In New York gibt es nur wenige Bezirke, die sich der Vorfinanzierung von modernen billigen Mietskasernen so erfolgreich widersetzen wie die obere Park Avenue. Zum Teil liegt es daran, daß sich dort das Einkaufsgebiet des spanischen Viertels von Harlem befindet. Hier, unter den Gleisen der Hochbahn, wird einer der letzten offenen Märkte dieser Riesenstadt abgehalten.
    Die Menschen, die hier einkaufen, stammen vorwiegend aus Puerto Rico. Sie drängen sich in ihrer fröhlich bunten Kleidung zwischen den Schubkarren und den Ständen am Trottoir und plaudern trotz ihrer Armut so unbeschwert und zufrieden wie daheim auf ihrer tropischen Insel. Auch Hotels gibt es in diesem Teil der Park Avenue. Zwar haben sie wenig Ähnlichkeit mit den stadteinwärts gelegenen Luxusquartieren, erfüllen aber den gleichen Zweck.
    Cesare wandte sich vom Fenster des Hotels Del Rio ab, als draußen ein Zug vorbeiratterte. Er betrachtete Luke Nichols, die, mit den Morgenzeitungen vor sich, in einem Sessel saß. »Kannst du denn den ganzen Tag lang weiter nichts tun als die verdammten Zeitungen lesen?« fragte er gereizt.
    Sie blickte zu ihm auf. Schon seit einer Woche war er so schnell aufbrausend. Und seit zwei Wochen, seit Ileanas Abreise, hockten sie unablässig in diesem Raum, ihrem Versteck. Anfangs hatten sie es noch lustig gefunden und über die kleinen Ärgernisse gelacht. Über den tropfenden Wasserhahn, das knarrende Bett, die tief durchsackenden Sessel. Aber allmählich ging ihnen das schäbige Zimmer auf die Nerven, und nun fanden sie das alles durchaus nicht mehr komisch.
    Luke hatte diesen Stimmungswechsel vorausgesehen, Cesare jedoch nicht. Frauen vermögen sich viel eher anzupassen als Männer, sie haben bedeutend mehr Ausdauer und sind gleichsam von Natur aufs Wartenmüssen vorbereitet.
    »Willst du dich nicht lieber hinlegen und ein bißchen ausruhen?« fragte sie geduldig.
    Wütend herrschte er sie an: »Ausruhen? Ich tue in diesem stinkigen Hotel nichts anderes. Jetzt hab ich’s satt!«
    »Immer noch besser, als tot zu sein«, meinte sie lakonisch.
    »Manchmal bezweifle ich das«, entgegnete er barsch, ging zurück zum Fenster und starrte auf die Straße hinab.
    Als sie wieder Zeitung lesen wollte, sagte er, ohne sich umzudrehen: »Menschen wie die da unten habe ich als kleiner Junge in dem Dorf in Italien gesehen. Schau sie dir bloß an. Sie lächeln und machen Witze, während sie etwas Eßbares zu ergattern versuchen.«
    Luke stand auf und ging zu ihm ans Fenster »Ja, mir kommen sie auch glücklich vor«, sagte sie, nachdem sie ein paar Sekunden hinuntergeblickt
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