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Die Monster von Templeton

Die Monster von Templeton

Titel: Die Monster von Templeton
Autoren: Lauren Groff
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der weiblichen Brust und schaute die großen, hängenden Brüste seiner Besucherin mit so deutlichem Interesse an, als bedauere er primär deren Verlust – vielleicht von möglicher Unterstützung – und erst sekundär auch den des Mädchens, dem sie gehörten. Dabei ging ihm die Frage durch den Kopf, ob das Gerücht wohl stimmte, dass diese Hippiemädchen tatsächlich so
haltlos
waren, wie man sagte.
    «Vivi
enne
», sagte er zögernd, an ihre Brustwarzen gerichtet. «Vielleicht … äh … haben Sie schon vom
Buch
Ihres Vaters gehört?»
    «Nee», erwiderte Vivienne und brachte hämisch ihre Brust ein wenig ins Wabbeln, was dem alten Mann den Schweiß auf die Stirn trieb. «Er hat ein Buch geschrieben? Wow.»
    In Wirklichkeit wusste sie durchaus von dem Buch, weil sie es zusammen mit dem Fünfzig-Dollar-Schein zugeschickt bekommen hatte, den sie jeden Monat von ihren Eltern erhielt. Sie hatte sich sogar zu einer ansonsten eher seltenen Grußantwort samt Gratulation durchgerungen,hatte drei Kapitel gelesen und den Schinken dann dazu benutzt, ein wackeliges Bein ihres Nachttischchens zu stützen. Danach hatte sie das gute Stück schlicht und einfach vergessen. Das Gras, das sie jeden Tag beim Aufwachen, nach dem Essen und vor dem Zubettgehen rauchte, hatte die Tendenz, sie vergesslich zu machen.
    Und so frischte der Anwalt ihr Gedächtnis auf. Das Buch habe acht Jahre für seine Entstehung gebraucht, erinnerte er sie; ihr Vater hatte damit begonnen, lange bevor Vivienne aufmüpfig geworden war und die Stadt verlassen hatte, um sich «
freizuschwimmen»
, wie der Anwalt es formulierte. In dem Buch gehe es um Marmaduke Temple und ein schändliches Geheimnis, das dieser große Mann der Stadt gehegt hatte. Dieses Geheimnis betreffe auch Vivienne selbst und die Familie ihrer Mutter und sei dazu angetan, die Sichtweise Marmaduke Temples in den Augen der Historiker weltweit zu beeinflussen. An dieser Stelle legte der Anwalt eine Kunstpause ein.
    «Und was war das für ein Geheimnis?», fragte Vivienne, deren Interesse unweigerlich geweckt war.
    Der Anwalt räusperte sich; ein rhetorischer Trommelwirbel. «Ihr Vater stellte die These auf, die alteingesessene Familie Ihrer Mutter aus Templeton, die
Averells»,
sagte er, «seien Nachfahren von Marmaduke Temple und einem
Sklaven
mädchen namens
Hetty,
das ihm gehörte.» Nach diesen Worten lehnte er sich zurück und schaute ihr zum ersten Mal an diesem Morgen ins Gesicht, um ihre Reaktion zu sehen. Seit das Buch herausgekommen war, hatte es solch gewaltige Empörung an allen Fronten hervorgerufen, dass der Anwalt fest damit rechnete, einen Ausdruck des Entsetzens über das Gesicht meiner Mutter huschen zu sehen.
    Doch stattdessen flackerte da nur ein leicht benommenes Lächeln auf. «Cool», meinte Vivienne. «Ich bin also eine Negerin.»
    Während Chauncey Todd eine Weile brauchte, um diesen Gedanken zu verdauen, hatten die nur langsam arbeitenden Rädchen in Viviennes Denkmaschine sie bereits an einen ganz anderen Ort verfrachtet.Sie sah ernst und enttäuscht aus. «Warten Sie mal einen Moment», sagte sie. «Wenn mein Vater mit dem alten Marmaduke verwandt war und meine Mutter ebenso, dann ist das doch Inzest, oder? Ich meine, bin ich ein Produkt der Inzucht?» Sie hatte das Gefühl, auf eine große Tragödie gestoßen zu sein.
Das erklärt alles,
sagte sie sich, obwohl ihr selbst nicht so ganz klar war, worum es sich bei diesem
alles
nun genau handelte.
    Chauncey Todd fuhr sich mit der Hand über sein verblüfftes Gesicht und schenkte den Brüsten ein Seufzen. «Nun, Vivi
enne»,
sagte er. «Wir reden hier von einem Zeitraum von etwa
fünf
Generationen. Ihre Eltern waren nur
entfernt
miteinander verwandt.»
    «Aha», sagte sie. «Richtig.» Sie wartete ein Weilchen und runzelte dann erneut die Stirn. «Wo liegt also das Problem?»
    Langsam kam sich Chauncey Todd so vor, als säße er in einem Karussell, das sich so schnell drehte, dass es aus den Angeln gehoben wurde. Er kniff die Augen zu und hielt sie fest geschlossen. Auf diese Weise unbehelligt von dem Wogen der ebenso herrlichen wie halterlosen Brüste meiner Mutter, erklärte er ihr, so ruhig er konnte, Marmaduke Temple sei vielleicht der Archetypus des Amerikaners und der erste Selfmademan der Geschichte; dass dieser Mann nun als Quäker Sklaven besessen habe, sei schon empörend genug; und dass er, noch viel schlimmer, als verheirateter Mann Beziehungen zu seinen Sklavinnen gepflegt hatte – skandalös! Das alles
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