Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Midlife-Boomer

Die Midlife-Boomer

Titel: Die Midlife-Boomer
Autoren: Margaret Heckel
Vom Netzwerk:
Objekte aus Kunststoff preiswert und schnell gedruckt werden. An der Cornell-Universität experimentiert man bereits damit, synthetische Herzklappen mit derartigen Druckern herzustellen. Und in Deutschland arbeitet in der Fortführung dieser Versuche ein Team um den Stuttgarter Chemiker Günter Tovar beispielsweise daran, diese Kunststofforgane so zu bearbeiten, dass sie fest und elastisch werden und dann mit lebendigen Zellen besiedelt werden können. Mit diesem Bio-Printing sollen irgendwann einmal Blutgefäße aus dem 3-D-Drucker entstehen, die dann einen im Labor gezüchteten – oder vielleicht sogar gedruckten – Herzmuskel mit Blut versorgen.
    Noch hört sich all dies utopisch an. Wahrscheinlich ähnlich irreal, wie wenn man den Menschen am Ende des 19. Jahrhunderts prophezeit hätte, dass sich die durchschnittliche Lebenserwartung im 20. Jahrhundert mehr als verdoppeln wird. Und doch ist genau das passiert. Die erste sogenannte Sterbetafel wurde in Deutschland 1871/1881 erhoben. Damals betrug die Lebenserwartung eines gerade geborenen Jungen 35 Jahre und sieben Monate, ein Mädchen konnte mit 38 Jahren und fünf Monaten rechnen. 46
    In den 130 Jahren seither hat sich ihre durchschnittliche Lebenserwartung mehr als verdoppelt. Neugeborene Jungen konnten laut der Sterbetafel 2007/2008 mit 77 Jahren und vier Monaten Lebenszeit rechnen, neugeborene Mädchen mit 82 Jahren und vier Monaten.
    Ein Großteil dieser dramatischen Verdoppelung der Lebenszeit erklärt sich durch die Verringerung der Säuglingssterblichkeit. Im Jahr 1900 starb eines von acht Babys in den Vereinigten Staaten noch vor seinem ersten Geburtstag. Jedes vierte Kind, also 25 Prozent, erlebte seinen fünften Geburtstag nicht. 47 Doch im 20. Jahrhundert gelang es dann, die Säuglingssterblichkeit um 90 Prozent und die der Mütter um 99 Prozent zu reduzieren. In Deutschland verlief die Entwicklung ähnlich. Starben 1970/72 hierzulande rund 20 von 1000 Lebendgeborenen im ersten Jahr, sind es heute nur noch drei.
    In den Vereinigten Staaten ist es so gelungen, die Lebenserwartung in einem Jahrhundert um 28 Jahre zu erhöhen. In Deutschland liegt der Wert sogar deutlich höher, wie der Sterbetafel-Vergleich zeigt.
    Für die Altersforscherin Laura Carstensen von der Universität Stanford haben die Fortschritte in der Medizin einen ganz erheblichen Anteil an dieser spektakulären Lebensverlängerung, doch das ist es nicht allein. »Die Lebenserwartung hat sich verändert, weil die Menschen ihre Art zu leben verändert haben«, sagt sie 48 . So habe die Urbanisierung die Menschen von den Mühen des Landlebens befreit und durch den besseren Austausch zwischen den Menschen intellektuelles Leben und die folgende Explosion des Wissens überhaupt erst ermöglicht. Mit dem Leben in den Städten aber kamen Seuchen und Mangelernährung, die wiederum durch Hygienemaßnahmen und Erfindungen wie den Kühlschrank oder die Pasteurisierung von Lebensmitteln eingedämmt werden konnten. Carstensen argumentiert, dass die höheren Überlebensquoten bei Babys und Kleinkindern »Hand in Hand mit einem anhaltenden und wachsenden Interesse an besseren Lebensbedingungen für Kinder« 49 gingen. Das aber seien »kulturelle Veränderungen«, die den medizinischen Landgewinnen deutlich vorauseilten.
    »Wenn es noch eines Beweises bedarf, dass derartige Zuwächse in der Lebenserwartung auf die Macht der herrschenden Kultur zurückgehen, liegt er in der traurigen Tatsache, dass die Zugewinne sich nicht gleichmäßig über die Welt verteilen«, schreibt Carstensen. So erlebten beispielsweise in Sierra Leone noch immer 27 Prozent der Kinder ihren fünften Geburtstag nicht – und das, obwohl die Grundlagen heute längst existieren, wie diese Kinder zu retten wären. »Was fehlt, ist nicht das Wissen, es sind Geld und der politische Wille«, schreibt Carstensen – die Mortalitätsrate ist also von soziokulturellen, nicht von biologischen Faktoren abhängig.
    Dieses Defizit in den Entwicklungsländern im Bereich der Säuglingssterblichkeit diagnostiziert Carstensen gespiegelt auch in den Industrieländern – dort allerdings im Bereich der Hochaltrigkeit. »Statt herauszufinden, was Keime sind und wie wir das Trinkwasser sicher machen, muss die Wissenschaft nun ein Geheimnis entschlüsseln, das bislang unbekannt war – die Hochaltrigkeit.«
    Und in der Tat hat sich die medizinische Front bereits auf diese Phase gestürzt, wie die zu Anfang dieses Kapitels
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher