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Die Midlife-Boomer

Die Midlife-Boomer

Titel: Die Midlife-Boomer
Autoren: Margaret Heckel
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50. Geburtstag in andere Tätigkeiten hineinwachsen – egal, ob in die Büroarbeit, in die Beratung von Kunden oder die Ausbildung anderer Mitarbeiter. Auch wenn er nicht mehr auf dem Dach steht, wird er im Arbeitsleben bis an die Schwelle des 70. Geburtstages gebraucht werden.
    Dieses »Gebrauchtwerden« ist ein Paradigmenwechsel, dessen Bedeutung man kaum überschätzen kann. Er löst ein Vierteljahrhundert ab, in dem der ältere Arbeitnehmer in der Politik, der Wirtschaft und den Medien als ersetzbar, nicht belastbar und verbraucht beschrieben wurde. Diese Abwertung menschlicher Leistungsfähigkeit ist noch weit schlimmer als die immens hohen Kosten, die uns die fatale Frühverrentungspolitik seit Ende der 1980er Jahre beschert hat.
    Wie meist bei gesellschaftlichen Veränderungen wird es auch dieses Mal noch dauern, bis sich diese Erkenntnis durchsetzt. Ein gutes Beispiel ist die Lehrstellenknappheit: Hier hat sich der Markt bereits gedreht, doch das ist im gesellschaftlichen Bewusstsein noch nicht angekommen.
    Im statistischen Durchschnitt gab es erstmals im Jahr 2011 einen bundesweiten Lehrstellenüberschuss. Nun werden Auszubildende händeringend gesucht – und der Mangel an ihnen wird sich von Jahr zu Jahr verschärfen. Damit einher gehen die Bemühungen der Arbeitgeber, jeden, aber auch wirklich jeden Jugendlichen für die angebotenen Stellen in Betracht zu ziehen und im Zweifel aufwendig nachzuschulen. Auch wenn jeder Geschichten von langer, vergeblicher Lehrstellensuche kennt: Inzwischen könnten die Bedingungen für Jugendliche kaum besser sein, genau den Ausbildungsplatz zu bekommen, den sie sich immer erträumt haben.
    Noch gibt es nur wenige Unternehmen, die offensiv Angebote für ihre älter werdende Belegschaft machen. Noch seltener gibt es Vordenker, die ganz konsequente Schlüsse aus der weit längeren Lebensspanne des Menschen ziehen.
    Eine davon ist Laura L. Carstensen, die Leiterin des Center on Longevity (Zentrum für langes Leben) der Stanford University in Kalifornien. »Wir sollten unsere Leben so planen, dass die Menschen mit 50 noch einmal aufbrechen. Sehen Sie es als ein ›50:50-Modell‹«, schreibt sie in ihrem Buch A Long Bright Future. Die ersten 50 Jahre eigneten wir uns »eine Fülle an Wissen und sozialem Know-how an, um es die nächsten 50 Jahre an unsere Umgebung und die Gesellschaft zurückzugeben«. 3
    Für die Psychologin ist das »eine radikale Abwendung von dem alten Lebensplan, der alles nach 50 als Abstieg und Niedergang sieht«. Sie plädiert leidenschaftlich für ein neues Modell der Lebensspannen: »In diesem neuen Skript wird es ab 50 erst richtig interessant, und man kommt in eine Phase, in der man wirklich etwas beitragen kann, sei es in der Familie, bei der Arbeit oder in der Gesellschaft.« 4
    Dafür aber brauchen wir ein radikal neues Bild vom Altern – und ein neues Drehbuch für unser Leben. »Als Gesellschaft haben wir keine Vorstellung davon, wie sich ein glücklicher, gesunder Hundertjähriger fühlt. Niemand hat ein Konzept dafür, was es bedeutet, wenn sich die Zeit des Ruhestandes über 40 Jahre hinzieht«, argumentiert die Endfünfzigerin. Lebensabschnitte sind für sie »soziale Konstrukte, keine absoluten Realitäten«. 5
    Die Geschichte des langen Lebens muss nun geschrieben werden. Das Phänomen der zusätzlichen Jahre ist kaum ein Jahrhundert alt – und unsere Kultur noch nicht in der Lage, es ausreichend zu beschreiben.
    Wir brauchen eine »neue Landkarte des Lebens«, meint die Anthropologin Mary Catherine Bateson. Sie zu füllen könnte ganz analog zur Erfindung der Adoleszenz vor über hundert Jahren geschehen: Bis weit in die Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Kinder als »Mini-Erwachsene« wahrgenommen. Sobald sie arbeiten konnten, waren sie keine Kinder mehr, sondern Erwachsene.
    Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann sich – um es ganz verkürzt zu beschreiben – die Erkenntnis durchzusetzen, dass sich mit den Jahren des Lernens und der Ausbildung etwas Neues in diese Abfolge schob: die Adoleszenz, eine Phase des Erwachsenwerdens, die gut eine Dekade umfassen konnte und heute auch umfasst.
    Der Psychologe und Gründer der American Psychological Association, Granville Stanley Hall, war der Erste, der diese Phase auch im soziologischen Sinn erforscht hat. Sein 1904 veröffentlichtes Buch Adoleszenz beschreibt die Zeit zwischen Kindheit und Erwachsensein. Der britische Kulturwissenschaftler Jon Savage 6
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