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Die Merowinger - Chlodwigs Vermächtnis

Die Merowinger - Chlodwigs Vermächtnis

Titel: Die Merowinger - Chlodwigs Vermächtnis
Autoren: Robert Gordian
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zubringen wollte, war nun freilich ein ganzer Monat geworden. Mehrmals waren Boten von ihrem Gemahl gekommen, der ihr zuletzt gemeldet hatte, des Feindes ansichtig geworden zu sein und ihm gegenüber ein Lager bezogen zu haben.
    Tief in das Land der Thüringer waren die Franken unter ihrem König Theuderich eingedrungen. Jeder Tag musste jetzt die Entscheidung bringen. Voller Unruhe, voller Spannung hatte die Königin Amalaberga Tag und Nacht Ausschau halten lassen, und oft genug hatte sie selbst die Leiter erklommen, um Stunden am Ausguck zu verharren.
    Fast unerträglich waren die feuchte Hitze am Rande des großen Morastes, die Mückenplage, der Mangel an frischem Wasser, die Unbequemlichkeiten des Zusammenlebens mit einigen hundert Menschen auf engstem Raum. Nun war die Entscheidung gefallen, die Stunde des Aufbruchs gekommen. Nicht in die gewünschte Richtung freilich, sondern in die entgegengesetzte.

    ***

    Der Weg, auf dem Eggo mit den beiden Verwundeten gekommen war, setzte sich hinter der Sumpfburg nach Osten fort.
    Allerdings war er unsicher, weil seit einiger Zeit immer häufiger Sachsen und Wenden in die schwach besiedelte Zone des nördlichen Thüringengaus vorrückten. Man musste mit Überfällen rechnen.
    Die Königin Amalaberga entschied daher, den Tross mit seinen langsamen, schwerfälligen Gefährten und Lasttieren in der Burg Ovesfeld zurückzulassen und nur mit einem kleinen, schnellen, schwerbewaffneten Gefolge zu reisen. Ein einziger Wagen, ihre leichte Carruca, sollte mitgeführt werden. Der Wagen bot Platz für sie und ihre drei Kinder sowie für die Truhe mit Juwelen und Goldschmuck, von der sie sich niemals trennte.
    Damit die Zurückbleibenden sie nicht mit Geschrei und Protest belästigten oder gar aufhielten, befahl die Königin ihrem Stallmeister Answald, das Gefolge an einem hinteren Tor der Burg zu sammeln, das gewöhnlich verschlossen und von Gesträuch schon fast zugewuchert war. Der Aufbruch sollte so überraschend erfolgen, dass die Mehrzahl der Burgbewohner ihn erst verspätet bemerken würden.
    Zur neunten Stunde standen der mit vier Pferden bespannte Wagen und die fünfzig Reiter bereit. Knechte schwangen die Äxte, um noch das letzte hinderliche Gestrüpp zu beseitigen. Das Tor war offen. Die Königin Amalaberga kam hastig herbei. Sie wurde zuletzt noch aufgehalten und hatte ihre Kammerfrauen, die sie zurücklassen wollte, belügen und abwimmeln müssen.
    Gerade wollte sie die Carruca besteigen, als plötzlich neben ihr, wie aus dem Boden gewachsen, ein alter Mann mit weißem Lockenbart und dunklen Augen stand. Seltsam nahm sich die kurze, römisch geschnittene Tunika, die er trug, an diesem barbarischen Ort aus. Es war Melanius, ein Grieche, ein früherer Lehrer Amalabergas, den sie aus Italien mitgebracht hatte, als sie den Thüringerkönig heiratete. Seit sie denken konnte, gehörte er zu ihrer Umgebung.
    Der Alte wollte sie ansprechen, aber sie kam ihm zuvor. »Es tut mir sehr leid, Melanius! In meinem Wagen ist kein Platz mehr. Du wirst mit den anderen morgen reisen. Heute werden die Franken ja noch nicht kommen. Und was sollten sie dir auch antun? Hab also Geduld. An der Elbe werden wir auf euch warten. Wir werden uns in ein paar Tagen wiedersehen. Bis dahin leb wohl, mein guter Alter!«
    Sie wollte ihn flüchtig umarmen, doch er wich etwas zurück und sagte: »Nicht für mich bitte ich! Ich bitte für diese beiden hier, Herrin, die du mir anvertraut hast!«
    Die Königin Amalaberga wandte den Kopf, und erst jetzt sah sie, dass Melanius nicht allein gekommen war. Er hatte zwei Kinder mitgebracht, die ein paar Schritte abseits stehen geblieben waren, eng aneinandergedrängt, als wollten sie sich gegenseitig schützen. Beide waren sehr schmal, sehr blond, sehr hübsch und anmutig, und sie waren einander sehr ähnlich. Das Mädchen war dreizehn Jahre alt, der Junge erst zwölf.
    »Ihr seid es also, die Unzertrennlichen!«, sagte die Königin Amalaberga, und ihre Miene verfinsterte sich. »Habt ihr ausspioniert, dass ich heute schon abreisen werde?«
    »Verzeih«, antwortete Melanius an Stelle der Kinder, »ich erfuhr es von …«
    »Ist ja auch gleichgültig«, unterbrach sie ihn. »Ich habe jedenfalls keinen Platz mehr. Der Wagen ist so schon überlastet. Soll ich meine eigenen drei etwa hierlassen? Damit diese Ungeheuer, die Franken, sie umbringen? Die Kinder des gehassten, geschlagenen Königs?«
    »Auch diese beiden sind in Gefahr!«, entgegnete ihr der Alte mutig.
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