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Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort
Autoren: Kai Meyer
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hatte, und der Gedanke schmerzte noch immer. Aber ihre Freundin hatte ihr keine Wahl gelassen.
    „Fal s sie noch deine Freundin ist." Es war nicht das erste Mal, dass die Fließende Königin ihre Gedanken las; es war längst zur schlechten Angewohnheit geworden.
    „Natürlich ist sie das!"
    „Du hast sie gesehen. Und gehört, was sie zu dir gesagt hat. So benimmt sich keine Freundin."
    „Das ist das Steinerne Licht. Junipa kann nichts dafür."
    „Das ändert wenig daran, dass sie womöglich versuchen wird, dir wehzutun."
    Merle antwortete nicht. Sie schwebten gut zehn Meter über der nächsten Pyramidenstufe. Allmählich begann Vermithrax' fester Griff zu schmerzen.
    „Lass uns runter", bat sie ihn noch einmal.

    „Zumindest scheint die Pyramide stabil zu sein", gab der Löwe zu.
    „Heißt das, wir sehen uns die Barke an?"
    „Das hab ich nicht gesagt."
    „Aber da unten rührt sich nichts. Wenn wirklich Mumien darin sind, dann sind sie
    „Tot?", fragte die Königin spitz.
    „Außer Gefecht."
    „Viel eicht. Oder auch nicht."
    „Das sind wieder mal genau die Bemerkungen, die uns weiterhelfen", sagte Merle bissig.
    Vermithrax hatte seine Entscheidung getroffen. Mit sanften Schwingenschlägen brachte er Junipa und Merle zurück auf sicheren Boden - so sicher viertausendjährige Pyramiden eben sind, die über einem Zugang zur Hölle stehen.
    Als Erste setzte er Merle auf einer der Steinstufen ab. Nachdem sie zum Stehen gekommen war, nahm sie Junipa vorsichtig aus Vermithrax' Griff in Empfang. Junipas Lippen bewegten sich noch immer. Standen ihre Augen jetzt nicht einen Spaltbreit offen? Merle war, als sähe sie das Spiegelglas unter den Lidern blitzen.
    Langsam ließ sie ihre Freundin in den Schnee sinken. Sie brannte darauf, zur Barke hinüberzulaufen, doch erst musste sie sich um Junipa kümmern.
    Sanft tätschelte sie die Wange des Mädchens. Als ihre unterkühlten Finger die Haut berührten, fühlte es sich an, als stieße Eis auf Eis. Sie fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, ehe sich die ersten Erfrierungen zeigten.
    „Junipa", flüsterte sie. „Bist du wach?"
    Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Vermithrax' glühender Leib sich spannte, bemerkte die gewaltigen Muskelstränge, die sich unter dem Obsidian wie Fäuste ballten. Der Löwe war bereit, auf einen Angriff sofort zu reagieren. Und sein Argwohn galt nicht allein der Sonnenbarke. Junipas Verrat hatte ihn ebenso misstrauisch gemacht wie die Königin, nur zeigte er es nicht so offen.
    Die Lider des Mädchens flatterten, öffneten sich dann zögernd. Merle sah ihr eigenes Gesicht reflektiert in den Spiegelscherben, die Junipa statt Augäpfeln besaß.
    Sie erkannte sich kaum wieder. Als hätte ihr jemand Bilder eines Schneemenschen gezeigt, mit eisverkrustetem Haar und weißblauer Haut.
    Wir brauchen Wärme, dachte sie alarmiert. Wir sterben hier draußen.
    „Merle", kam es schwach über Junipas aufgesprungene Lippen. „Ich ... Du hast..." Dann verstummte sie wieder, hustete erbärmlich und krallte eine Hand um den Saum von Merles Kleid. „Es ist so kalt. Wo
    ... sind wir?"
    „In Ägypten." Obwohl sie selbst es aussprach, erschien es Merle so absurd, als hätte sie gesagt: auf dem Mond.
    Junipa starrte sie aus ihren Spiegelaugen an, doch die glänzenden Scherben verrieten keinen ihrer Gedanken. Damals, als der Zauberspiegelmacher Arcimboldo sie ihr eingesetzt und das blinde Mädchen damit sehend gemacht hatte, hatte Merle den Blick der Spiegel als kalt empfunden; doch nie war eine solche Empfindung zutreffender gewesen als jetzt, inmitten dieser neuen Eiszeit.
    „Ägypten ..." Junipas Stimme klang rau, aber nicht mehr so gleichgültig wie noch im Inneren der Pyramide, als sie Merle überreden wollte, in der Hölle zu bleiben. In Merle regte sich ein Hauch von Hoffnung. Hatte das Steinerne Licht hier oben seine Macht über Junipa verloren?
    Aus der Richtung der Barke ertönte ein metallischer Laut, gefolgt von einem Knirschen.
    Vermithrax stieß ein drohendes Knurren aus und wirbelte herum. Erneut erbebte der Boden unter seinen Pranken.
    An der Seite der Barke - in jener Wand, die jetzt oben lag - klappte ein Segment aus Metall nach außen und stand einen Moment lang zitternd da wie ein aufgerichteter Insektenflügel.
    Vermithrax schob sich schützend vor die beiden Mädchen. Damit verdeckte er Merles Sicht, sie verrenkte sich beinahe den Hals, um zwischen seinen Läufen hindurchzuschauen.
    Etwas schob sich aus der Öffnung. Kein
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