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Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort

Titel: Die Merle-Trilogie 03 - Das Gläserne Wort
Autoren: Kai Meyer
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kommen und das tun, was sie mit ihrer besten Freundin früher Abend für Abend getan hatte: miteinander reden.
    Ein metallisches Klong ertönte aus dem Innenraum der Barke.
    „Vermithrax?"
    Der Löwe gab keine Antwort.
    Merle sah Junipa an. „Kannst du aufstehen?"
    Ein dunkler Schemen huschte über die Spiegelaugen. Es dauerte einen Moment, ehe Merle begriff, dass es nur die Spiegelung eines Raubvogels war, der über ihre Köpfe hinweggeflogen war.
    „Ich kann's versuchen", sagte Junipa, aber sie klang so schwach, dass Merle ernsthafte Zweifel kamen.
    Doch Junipa rappelte sich hoch, weiß Gott, woher sie die Kraft dazu nahm. Dann aber erinnerte sich Merle, wie das Bruchstück des Steinernen Lichts in Junipas Brust ihre Wunden in Sekundenschnelle geheilt hatte.
    Junipa stand auf und schleppte sich mit Merle näher an die Barke heran.
    „Wil st du hinter ihm her klettern?", fragte die Königin alarmiert.
    Jemand muss nachsehen, dachte Merle.
    Insgeheim machte sich die Königin genau wie sie selbst Sorgen um Vermithrax, und sie verbarg diese Gefühle nicht einmal besonders gut: Merle empfand die Unruhe der Königin fast so deutlich, als sei es ihre eigene.

    Kurz bevor sie die äußere Spitze des gebogenen Rumpfes erreichten, blickte sie zu dem leblosen Sphinx hinunter, zwei Meter tiefer im Schnee. Er hatte noch mehr Blut verloren, ein unregelmäßiger roter Stern, dessen Zacken wie eine Windrose in alle Richtungen wiesen. In der Kälte begann das Blut bereits zu gefrieren.
    Merle schaute wieder zur Luke, doch der Rumpf der Barke war zu hoch und sie waren zu nah herangekommen, um die Öffnung jetzt noch sehen zu können. Es würde nicht einfach sein, an der glatten Oberfläche emporzuklettern.
    Ein lautes Krachen ließ sie zusammenfahren und entledigte sie auf einen Schlag ihre Befürchtungen.
    Vermithrax hockte wieder oben auf dem Rumpf. Er hatte sich mit einem Sprung aus der Luke katapultiert und blickte mit seinen sanften Löwenaugen auf die Mädchen herab.
    „Leer", sagte er.
    „Leer?"
    „Kein Mensch, keine Mumie und kein Priester."
    „Das ist unmöglich", sagte die Königin in Merles Gedanken. „Die Horuspriester würden nicht zulassen, dass die Sphinxe allein auf Patrouille gehen. Priester und Sphinxe hassen sich wie die Pest."
    Du weißt eine ganze Menge über sie, dachte Merle.
    „Ich habe Venedig vor dem Imperium und seinen Mächtigen beschützt, so lange ich konnte. Wundert es dich wirklich, dass ich zumindest ein wenig über sie in Erfahrung gebracht habe?"
    Vermithrax faltete eine Schwinge aus und hob erst
    Merle, dann, zögernd, Junipa neben sich auf den Goldrumpf der Barke. Der Löwe deutete auf die Luke. „Klettert hinein. Da drinnen ist es wärmer. Ihr werdet zumindest nicht erfrieren."
    Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als etwas Riesiges, Massiges aus dem Abgrund neben dem Wrack emporschnellte und mit einem feuchten, dumpfen Laut hinter den Mädchen auf dem Rumpf landete. Ehe Merle sich versah, wurde Junipas Hand aus der ihren gerissen.
    Sie wirbelte herum. Vor ihr stand der verwundete Sphinx und hielt das Mädchen in seinen riesigen Pranken. Junipa sah jetzt noch zerbrechlicher aus als zuvor, wie ein Spielzeug in den Klauen dieser Bestie.
    Sie schrie nicht, sie flüsterte nur Merles Namen, und dann schwieg sie ganz.
    Vermithrax wollte Merle beiseiteschieben, um auf der Barke besser an den Sphinx heranzukommen.
    Doch das Wesen schüttelte den Kopf, mühsam, als bereitete jede Bewegung ihm grässliche Schmerzen. Blut aus seiner Schädelwunde tropfte auf Junipas Haar und fror fest.
    „Ich reiße das Kind in Stücke", brachte er schwerfällig hervor, in Merles Sprache, aber mit einem Akzent, der sich anhörte, als wäre seine Zunge geschwollen; vielleicht war sie es tatsächlich.
    „Sag nichts." Die Stimme der Königin klang beschwörend. „Lass Vermithrax das erledigen."
    Aber Junipa -
    „Er weiß, was zu tun ist."
    Merles Blick haftete an Junipas Gesicht. Der Schare Ecken des Mädchens schien auf seinen Zügen steifgefroren. Nur die Spiegelaugen blieben kalt und teilnahmslos.
    „Nicht näher kommen", sagte der Sphinx. „Sie stirbt."
    Vermithrax' Löwenschwanz pendelte langsam von einer Seite zur anderen, vor und zurück, immer wieder. Ein schrilles Quietschen ertönte, als er seine Krallen ausfuhr und die Spitzen über den Rumpf kratzten.
    Die Lage des Sphinx war aussichtslos. In einem Kampf hatte er Vermithrax nichts entgegenzusetzen. Und doch wehrte er sich auf seine Weise: Er hielt
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