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Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht

Titel: Die Merle-Trilogie 02 - Das steinerne Licht
Autoren: Kai Meyer
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darüber? Ja, in diese und auch noch in andere Welten. Junipa wird denen, die dort wohnen, aus ihren Spiegeln entgegenblicken, und sie werden es nicht einmal bemerken. Sie wird Könige und Kaiser beobachten, die in ihren Spiegelsälen wichtige Entscheidungen treffen, und sie wird sehen, wenn sich voll beladene Schiffe im Wasser ferner Ozeane spiegeln. Das ist die wahre Macht, die ihr die Spiegelaugen verleihen. Und sie ist es, auf die Lord Licht es abgesehen hat.«
    »Kontrolle, nicht wahr? Darum geht es ihm. Er will nicht nur wissen, was in dieser Welt vor sich geht. Er wird erst zufrieden sein, wenn er alles weiß. Über alle Welten.«
    »Lord Licht ist neugierig. Vielleicht sollten wir sagen: wissbegierig? Oder interessiert?«
    »Skrupellos und bösartig«, sagte Serafin zornig. »Er nutzt Junipa aus. Sie ist so glücklich, dass sie wieder sehen kann - und sie hat keine Ahnung, was wirklich dahinter steckt.«
    »Doch«, widersprach Arcimboldo. »Ich habe mit ihr gesprochen. Sie weiß jetzt, über welche Kraft sie einmal verfügen wird. Und ich glaube, sie hat es akzeptiert.«
    »Hat sie denn eine Wahl?«
    »Lord Licht lässt keinem von uns eine Wahl. Auch mir nicht. Hätte ich sein Gold nicht angenommen, wäre die Werkstatt längst geschlossen. Er kauft mehr Zauberspiegel als jeder andere, seit mich die Gilde ausgestoßen hat. Ohne ihn hätte ich alle meine Lehrlinge zurück in die Waisenhäuser schicken müssen. Merle und Junipa wären gar nicht erst hierher gekommen.« Der kleine, alte Mann schüttelte traurig den Kopf. »Serafin, glaub mir, mein eigenes Schicksal spielt keine Rolle. Aber das der Kinder… Ich durfte das nicht zulassen.«
    »Weiß Junipa, wohin sie gehen wird?«
    »Sie ahnt, dass mehr dahinter steckt. Sicher auch, dass sie nicht für immer hier bei uns bleiben wird. Aber sie weiß nichts von Talamar und Lord Licht. Noch nicht.«
    »Aber das darf nicht passieren!«, rief Serafin aus und stieß beinahe seinen Tee um. »Ich meine, wir können nicht einfach zulassen, dass sie… dass sie zur Hölle fährt. Im wahrsten Sinne des Wortes.«
    Darauf hatte Arcimboldo nichts mehr erwidert, und nun saß Serafin hier am Kanal und suchte nach einer Lösung, nach Antworten, nach irgendeinem Ausweg.
    Wäre Venedig eine freie Stadt gewesen und hätte es keine Ägypter gegeben, die sie bedrohten, so hätte er vielleicht mit Junipa fliehen können. Er war früher einer der geschicktesten Meisterdiebe Venedigs gewesen - er kannte Orte und Wege, von denen die meisten Bürger der Stadt noch nicht einmal ahnten, dass sie überhaupt existierten. Doch der Belagerungsring des Imperiums hatte sich von allen Seiten bis auf einige hundert Meter zugezogen, eine Henkersschlinge aus Galeeren, Sonnenbarken und zigtausend Kriegern. Es gab keinen Weg aus der Stadt, und sich mit Junipa irgendwo in den Gassen zu verstecken, vor der Hölle und den Ägyptern, wäre ein sinnloses Unterfangen. Früher oder später würde man sie finden.
    Wenn Merle noch in Venedig wäre, vielleicht hätten sie gemeinsam eine Lösung gefunden. Aber er hatte mit eigenen Augen gesehen, wie sie auf dem Rücken des steinernen Löwen über die Piazza San Marco geflogen war – über die Lagune aus der Stadt hinaus. Und aus Gründen, die er selbst nicht kannte, bezweifelte er, dass Merle schnell genug zurück sein würde - von wo auch immer -, um Junipa vor ihrem Schicksal zu bewahren.
    Wo steckte Merle? Wo hatte der Löwe sie hingetragen? Und was war aus der Fließenden Königin geworden?
    Die Spiegelung aus der anderen Welt verblasste, als in der Nähe eine Turmuhr schlug, gefolgt von etlichen anderen. Die Stunde nach Mitternacht war verstrichen, mit ihr verschwanden abrupt die hellen Fenster auf dem Wasser. Nur ganz vage spiegelten sich jetzt noch die finsteren Fassaden auf den Wellen, unbeleuchtet, ein Abbild der Wirklichkeit.
    Serafin seufzte leise, stand auf - und beugte sich blitzschnell wieder vor. Da war etwas im Wasser, eine Bewegung. Er hatte es genau gesehen. Keine Spiegelung, weder aus dieser noch der anderen Welt. Vielleicht eine Meerjungfrau? Oder ein großer Fisch?
    Serafin sah eine zweite Bewegung, und diesmal fiel es ihm leichter, ihr mit den Augen zu folgen. Ein schwarzer Umriss glitt durch den Kanal, und jetzt entdeckte er noch einen dritten. Jeder war etwa fünf Meter lang. Nein, Fische waren das ganz bestimmt nicht, auch wenn sie in etwa die Form von Haien hatten. Erst recht keine Meerjungfrauen. Vorn liefen sie spitz zu, hatten aber
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