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Die merkwuerdigen Faelle des Dr. Irabu

Titel: Die merkwuerdigen Faelle des Dr. Irabu
Autoren: Hideo Okuda
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dann war Stangenstürzen eine vergleichsweise friedliche Lösung des Konflikts. Für den vierundzwanzigjährigen Ryōhei war die Welt noch voller Rätsel.
     
    Die Stangen für den Wettkampf schlummerten im Lager des Shinto-Schreins. Dick und schwarzglänzend sahen sie mit ihren fünfundzwanzig Metern Länge aus wie Strommasten. Die Rathausangestellten wuchteten die Stangen ins Freie, wo der Oberpriester sie in einer Zeremonie weihte. Alle Anwesenden standen dabei mit gesenkten Köpfen da, und selbst Ryōhei hatte in dem Moment das Gefühl, einer heiligen Handlung beizuwohnen.
    Der Wettkampf wurde auf den Tag vor der Wahl, um 12 Uhr mittags festgesetzt. Austragungsort war der Schulhof der Grundschule. Eine Mannschaft bestand aus zweihundert Männern. Sieger war derjenige, der zuerst die gegnerische Flagge von der Spitze der Stange in seinen Besitz gebracht hatte. Als Wettkampfbeobachter wurden einige Alte aus dem Seniorenverein von Irabu höchstpersönlich ausgewählt.

    »Eigentlich würde ich ja lieber selbst teilnehmen, als nur zuschauen«, meinte Irabu.
    »Auf keinen Fall, Herr Doktor. Das ist kein Spaß. Sie müssen ordentlich Ihrer Aufgabe als unparteiischer Schiedsrichter nachkommen«, antwortete einer der Alten diesmal in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Da nun einmal die Entscheidung für diesen Kampf gefallen war, wollten die Inselbewohner den Wettstreit auch korrekt durchführen lassen, dachte Ryōhei. In diesem Moment empfand er so etwas wie eine tiefe Verbundenheit mit diesem Fleckchen Erde.
     
    Nachdem die wesentlichen Punkte geklärt waren, begannen beide Seiten mit dem Training, für das nur zwei Tage Zeit blieb. Die Mannschaft von Ogura benutzte den Hof der Mittelschule, die von Yagi übte auf dem Platz des Sportzentrums. Am ersten Trainingstag war die Öffentlichkeit zugelassen, am zweiten Tag wurde die Strategie geübt, und außer den unmittelbar Beteiligten durfte keiner mehr den Platz betreten. Denn der Schlüssel zum Erfolg beim Stangenstürzen war die Formation.
    Irabu wollte am ersten Tag beim Training zusehen und machte sich mit Ryōhei und Mayumi auf den Weg. Als Erstes schauten sie beim Ogura-Team vorbei. Der Schulhof war voller Menschen, als sie ihn betraten. Viele von ihnen waren auf die wie zu Weihnachten geschmückten Bäume geklettert, um von dort besser sehen zu können. Die Frauen kochten süße Bohnensuppe mit Reisklößen und verteilten sie an die Zuschauer. Natürlich ließ auch Irabu die Gelegenheit, Essen umsonst zu bekommen, nicht an sich vorübergehen.
    »Herr Doktor!! Wie freue ich mich, Sie zu sehen!« Oguras Tochter kämpfte sich durch die Menge und umarmte Irabu. »Bitte, Herr Doktor, lassen Sie Ihre Beziehungen spielen und meinen Vater das Pflegeheim bauen!«

    »Na, na, hihihi«, wehrte Irabu ab, war aber offensichtlich erfreut über ihr Interesse an ihm.
    »O-Kei-chan! Lass den Quatsch. Die Sache wird mit Stangenstürzen entschieden«, rief ihr Direktor Iwata zu.
    »Ach so? Na dann … tschüüs, Herr Doktor!« Und schwupps - war sie weder weg.
    »Miyazaki, was sagste zu unsern Prachtjungs? Mehr als die Hälfte sind Fischer, und mit deren Power können wir gar nich verlieren«, sagte Direktor Iwata stolz. Er selbst hatte zum Zeichen seiner Bereitschaft, alles zu geben, ein gewundenes Stirnband mit dem japanischen Sonnenbanner umgebunden.
    »Sehr eindrucksvoll! Ich werde mich aber wie Doktor Irabu neutral verhalten und demjenigen meine Stimme geben, der gewinnt. Das verspreche ich.«
    »Mach das. Der Doktor hat den Vorschlag wohl nur aus’ner plötzlichen Laune heraus gemacht, aber ich find diese Methode am besten. Dann brauchen wir auch nich’ mehr mit Geld um uns zu werfen. Unter uns gesagt, wir ham noch dreißig Millionen Yen an Wahlkampfgeld übrig. Auch Ogura ist darüber nicht unglücklich.«
    Die letzten beiden Sätze sagte er mit gesenkter Stimme und lachte. Sein frisch-fröhliches Gesicht machte auf Ryōhei den Eindruck, als wäre er erst jetzt von einem bösen Geist befreit, der ihn lange gequält hatte.
    Als Nächstes bekam Ryōhei eine süße Bohnensuppe angeboten, die sich an diesem Wintertag angenehm warm in seinem Bauch ausbreitete.
    Anschließend gingen sie zum Yagi-Feldlager, wo die Menschen genauso dicht gedrängt standen und den Platz mit Leben erfüllten. Anders als bei Ogura fielen hier eine Menge junger Leute ins Auge, die sonst nicht auf der Insel zu sehen waren. Man erklärte ihnen, dass man alle Oberschüler und Studenten, die in
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