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Die Meisterdiebin

Die Meisterdiebin

Titel: Die Meisterdiebin
Autoren: Tess Gerritsen
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Strahl ihrer Taschenlampe über die Wände wandern ließ. Trotzdem sah sie sich gründlich um.
    Kein Auge von Kaschmir.
    Sie schlüpfte auf den Flur. Ihre Lampe erhellte poliertes Holz und antike Vasen. Sie schlich durchs Wohnzimmer und den angrenzenden Wintergarten. Kein Auge von Kaschmir. Die Küche und das Esszimmer ließ sie aus. Delancey würde es nicht dort verstecken, wo das Personal ein und aus ging.
    Blieben die Zimmer im ersten Stock.
    Clea ging die geschwungene Treppe hinauf, leise wie eine Katze. Oben blieb sie stehen und lauschte. Nichts. Links lag der Flügel, in dem die Dienstboten wohnten, rechts musste sich Delanceys Schlafzimmer befinden. Sie ging nach rechts und steuerte das Zimmer am Ende des Flurs an.
    Die Tür war unverschlossen. Sie schlüpfte hinein.
    Durch die Balkonfenster fiel das Mondlicht. Es war ein imposanter Raum. Die hohen Wände waren mit Gemälden bedeckt, das Bett antik und breit genug, um einen ganzen Harem zu beherbergen. Außerdem gab es eine ebenso große Kommode, einen Schrank, Nachttische und einen Sekretär. Nahe der Balkontürgab es einen Sitzbereich mit zwei Sesseln und einem niedrigen Tisch auf einem Perserteppich, vermutlich ebenfalls antik.
    Clea stöhnte auf. Es würden Stunden dauern, dieses Zimmer zu durchsuchen.
    Sie begann mit dem Sekretär, zog sämtliche Schubladen auf und forschte nach verborgenen Nischen. Dann wühlte sie sich in der Kommode durch riesige Berge von Wäsche und gebügelten Taschentüchern. Kein Auge von Kaschmir. Sie wollte gerade den Kleiderschrank öffnen, als sie ein Geräusch hörte und erstarrte.
    Es war ein leises Rascheln und kam von draußen. Da war es wieder, lauter diesmal.
    Sie wirbelte zu den Fenstern herum. Am Balkongeländer bewegten sich die Glyzinienranken, dann tauchte über den Blättern plötzlich eine dunkle Gestalt auf. Clea sah den Kopf des Kletterers, sein blondes Haar, und versteckte sich blitzschnell hinter dem Schrank.
    Na, wunderbar. Sie würden Nummern ziehen müssen. Damit hatte sie nicht gerechnet. Ein anderer Einbrecher. Noch dazu ein unfähiger, dachte sie, als draußen ein Blumentopf klapperte. Dann herrschte Ruhe. Ihr Kollege lauschte. Der alte Whitmore musste taub sein, wenn er das überhört hatte!
    Quietschend ging die Balkontür auf.
    Clea zog sich noch weiter hinter den Schrank zurück. Wenn er sie nun bemerkte? Sie attackierte? Sie hatte nichts dabei, mit dem sie sich hätte verteidigen können.
    Sie zuckte zusammen, als sie ein verärgertes Flüstern hörte. „Verdammt!“
    Oh nein. Der Typ war eher eine Gefahr für sich selbst.
    Schritte kamen näher.
    Clea presste sich gegen die Wand. Die Schranktür schwang auf und stoppte kurz vor ihrem Gesicht. Sie hörte Kleiderbügel klappern, dann wurde eine Schublade aufgezogen. Eine Taschenlampe flackerte auf, ihr Schein drang durch den Spalt der Schranktür. Der Mann murmelte etwas in bestem Oxfordenglisch, während er den Inhalt durchwühlte.
    „Muss verrückt sein. Genau das bin ich, vollkommen verrückt. Möchte wissen, wie sie mich dazu überredet hat, so etwas Dummes zu tun …“
    Clea konnte nicht anders. Die Neugier siegte. Sie beugte sich vor und spähte durch den Spalt. Stirnrunzelnd starrte der Eindringling in die offene Schublade. Sein Profil war markant, klassisch, aristokratisch. Sein Haar war weizenblond und noch ein wenig zerzaust vom Kampf mit der Glyzinie. Er war nicht wie ein Einbrecher gekleidet. Die Smokingjacke und schwarze Fliege sahen eher nach Cocktailparty aus.
    Er wühlte weiter und gab plötzlich einen zufriedenen Laut von sich. Sie konnte nicht sehen, was er herausnahm. Bitte, dachte sie. Nicht das Auge von Kaschmir. So dicht davor zu sein und es dann zu verlieren …
    Sie starrte über seine Schulter, um zu sehen, was er in die Jackentasche gleiten ließ. So konzentriert, dass sie fast zu spät reagierte, als er die Schranktür zuwarf. Ihre Schulter prallte gegen die Wand.
    Dann herrschte Stille.
    Langsam glitt der Strahl der Taschenlampe um die Ecke des Schranks, gefolgt vom Umriss eines Männerkopfs.
    Clea blinzelte ins grelle Licht. Sie konnte ihn nicht erkennen, aber er sie. Eine Ewigkeit lang bewegte sich keiner von ihnen.
    „Wer zum Teufel sind Sie?“ fragte er nach einer Weile.
    Die Gestalt antwortete nicht. Jordan ließ den Lichtstrahl an ihr hinabwandern. Über die bis zu den Augenbrauen heruntergezogene Mütze, das mit dunkler Farbe verschmierte Gesicht, den schwarzen Rollkragenpullover und die ebenfalls tiefschwarze
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