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Die Medica von Bologna / Roman

Die Medica von Bologna / Roman

Titel: Die Medica von Bologna / Roman
Autoren: Wolf Serno
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Geburt eines Zickleins in unserer immer größer werdenden Herde.
    Wieder war es kurz vor Weihnachten, als Tasco eines Tages zu uns heraufkam, um einige Lebensmittel zu bringen. Er war Latif und mir ein guter, verschwiegener Freund geworden, der unsere einzige Verbindung zu der Welt nach draußen darstellte. Neben dem üblichen Klatsch und Tratsch hatte er diesmal eine ungewöhnliche Geschichte im Gepäck. Ein Söldneroffizier, so berichtete er, habe sich ein paar Tage in San Martino aufgehalten, und dieser Söldner sei ständig betrunken gewesen und hätte im Suff eine seltsame Behauptung aufgestellt: Die Nase sei ihm im Kampf abgeschlagen, doch anschließend wieder perfekt aus einem Stück seines Arms rekonstruiert worden, was große Schmerzen bereitet und lange Monate gedauert hätte. Tasco und die Umstehenden hatten seine Worte zunächst für dumme Prahlerei gehalten, doch als sie näher hinsahen, waren tatsächlich feine Operationsnähte am Nasenrand erkennbar geworden. So etwas, sagte er, habe er noch nie in seinem Leben gesehen.
    »Hat der Soldat auch erzählt, wer die Rekonstruktion durchführte«, fragte ich.
    »Ja, Maria, das hat er. Der Operateur war aus Bologna, ein berühmter Arzt und Chirurg namens …« Tasco zog die Stirn kraus. »Jetzt habe ich doch glatt den Namen vergessen. Irgendwas mit Taglo … oder Tigla … tut mir leid, ich komme nicht drauf. Aber dass der Mann tot ist, weiß ich noch.«
    »Tot?«, fragte ich ungläubig.
    »Das hat der Soldat behauptet. Er sagte noch: ›Schade um den Professor, der hatte Hände, geschickt wie ein Zauberer.‹ Sein Tod soll gar nicht so lange her sein, Anfang November war es wohl. Ist was, Maria? Du guckst so komisch?«
    »Es ist nichts«, sagte ich. »Latif, schenk bitte unserem Gast etwas von dem Wein ein, den er mitgebracht hat.«
    Tasco trank und lachte. »So nehme ich einen Teil dessen, was ich heraufgeschleppt habe, wieder mit hinunter. Verkehrte Welt!« Er lachte noch ein bisschen weiter, aber Latif und ich lachten nicht mit.
     
    In den Monaten darauf, man schrieb mittlerweile das Jahr 1600, merkte ich, dass Gaspare Tagliacozzi und sein Tod mir nicht aus dem Kopf gingen. Er war im Alter von dreiundfünfzig Jahren gestorben – eine lange Lebensspanne, wenn man bedachte, dass viele der Armen und Verlorenen in Bologna höchstens dreißig oder vierzig Jahre alt wurden. Ich selbst war auch schon achtundvierzig Jahre alt. Und ich war krank.
    Ich beschloss, das Werk Tagliacozzis hervorzuholen und zu lesen. Auf meinem Bett sitzend, brach ich das Verpackungssiegel auf und entfernte das Papier. Zu meiner Überraschung war es nicht ein einzelnes Buch, das zum Vorschein kam, sondern gleich deren zwei.
De Curtorum Chirurgia per insitionem
lautete der Titel. Tagliacozzi hatte also schon auf der ersten Seite keinen Zweifel aufkommen lassen wollen, dass seine Kunst darin bestand, Verstümmelungen durch Aufpfropfen von Haut zu behandeln. Die Wortwahl »Aufpfropfen« war dabei typisch für ihn. Er hatte sich, wie so oft bei seinen Beschreibungen, einer Analogie bedient, in diesem Fall einer aus der Gärtnersprache.
    Das Titelbild selbst bestand aus prachtvollen Gravuren, die einen marmornen Säulengang zeigten. Vor den beiden Frontsäulen waren links und rechts lebensgroß die Figuren von Hippokrates und Galen abgebildet, und oben im Gesims zeigte sich das Wappen des Herzogs Vincenzo Gonzaga, einem bekannten Adligen, dem das Werk offenbar gewidmet war. Im unteren Bereich war der Erzengel Raffael zu erkennen, der den jungen Tobias führte, der wiederum einen Fisch in der Linken hielt.
    Ganz unten am Rand entdeckte ich noch eine Kursiv-Schrift:
Apud Gasparem Bindonum iuniorem. Venetijs, 1597
stand da zu lesen. Das Werk war also von Gaspare Bindoni herausgebracht worden, dem Spross einer der berühmtesten Druckerfamilien Venedigs. Dass Tagliacozzi sein Werk in der Lagunenstadt hatte erscheinen lassen, hing gewiss damit zusammen, dass sie als liberalstes Druckzentrum Italiens galt. Aber auch dort gab es ein Amt, das überprüfte, ob ein neues Werk keine gotteslästerlichen Äußerungen enthielt. Man erkannte es auf der ersten Innenseite, wo Folgendes zu lesen war:
    1597, am 29. Tag des Monats April, registriert
    im Amt gegen Blasphemie
    Philippus Brocardus,
    Co-Adjutor im Amt gegen die Blasphemie
    Ich schlug das Buch endgültig auf und vertiefte mich in seinen Inhalt. Schon nach wenigen Seiten merkte ich, dass Tagliacozzi sein gesamtes Wissen in diese zwei Bücher
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