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Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus
Autoren: Ralf Isau
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ließ, spürte er etwas, das er im Aufruhr der Emotionen bis dahin nicht bemerkt hatte: ein unangenehmes Prickeln, das an seinen Nerven zerrte und sein Herz schneller schlagen ließ. Es glich diesem Ichfühle-mich-von-jemandem-beobachtet-Gefühl, das einen unruhig werden lässt, obwohl man niemanden sieht. Nun, seinen gestohlenen Körper sah er durchaus, und je weiter er sich von ihm entfernte, desto mehr schwächte sich die seltsame Wahrnehmung ab. Es musste die Präsenz des Seelendiebs sein. Sie war dunkel wie eine Gruft und schwer wie ein Grabstein. Nie zuvor hatte er etwas Derartiges empfunden.
    »Wo bringen Sie mich hin?«, wagte er leise zu fragen. Die beiden schleppten ihn zur nordöstlichen Ecke des Platzes. Da gab es keinen Ausgang, nur die Gebäude der ehemaligen Benediktinerabtei.
    »Das wirst du gleich sehen«, antwortete der Waliser.
    »Kannst ihm ruhig sagen, dass ihn ein schönes warmes Plätzchen erwartet, Hooter, wo er einige alte Bekannte treffen wird«, fügte Slit hinzu und lachte.
    »In der Kirche?«, wunderte sich Arian. Er konnte sich keinen Reim auf die seltsame Antwort des Schlitzers machen. So deutete er dessen Spitznamen, der wohl aus dem einschlägigen Gebrauch seines riesigen Messers entstanden war. Der andere hieß bestimmt auch nicht wirklich Hooter. Wahrscheinlich wollten die beiden ihn nur beruhigen. »Sie verwechseln mich, Sir. Ich bin nicht der, der ich zu sein scheine.«
    »Hört, hört!«, schnarrte Slit belustigt und stimmte einen Gassenhauer an.
    Bow, wow, wow,
Wessen Hund bist du?
Klein Turtlenecks Hund,
Bow, wow, wow.
    »Turtleneck? Mit dem habe ich nichts zu schaffen«, wunderte sich Arian. Der Liedtext war falsch. Eigentlich hätte es »Tom Tinkers Hund« heißen müssen. Besagter Turtleneck war ein stadtbekannter Halunke, der König der Gauner von London. Angeblich arbeiteten für ihn Gesetzlose jeder erdenklichen Couleur: Taschendiebe, Freudenmädchen, Straßenräuber, Schmuggler, Falschmünzer, Mordbrenner… Nachweisen konnte man ihm freilich nichts. Wie er mit kostbaren Tüchern seinen faltigen Schildkrötenhals verstecke, munkelte man, so verberge er seine verwerflichen Machenschaften hinter einer Fassade großbürgerlicher Noblesse.
    »Wir nehmen das mal als Geständnis«, amüsierte sich Slit.
    Inzwischen hatten sie einen Durchgang erreicht, ein steinerner Spitzbogen, den eine schmiedeeiserne Pforte versperrte. Hooter zog daran. Sie öffnete sich quietschend. Er schob seinen Gefangenen weiter.
    Arian schöpfte Hoffnung. Von früheren Besuchen der Kirche wusste er, dass links hinter dem Einlass eine Spitzbogentür zu den Räumen des Kirchenvorstands führte. Wollten ihn die beiden etwa dem Dekan vorführen? Warum sonst sollten sie ihn in die Wabbey bringen?
    Slit versetzte ihm einen Stoß gegen die Schulter. »Geradeaus.«
    »In den Kreuzgang? Hören Sie, Sir. Das alles ist ein furchtbarer Irrtum…« Arian spürte einen entsetzlichen Stich in der Seite. Der Schmerz raubte ihm fast die Besinnung. Allein die Todesangst hielt ihn davon ab, laut zu schreien. Diesmal war die Klinge tiefer eingedrungen als beim ersten Mal.
    »Quatsch nicht dumm rum. Geh!«, befahl ihm der Schlitzer.
    Arian blutete heftig. Ein feuchter, dunkler Fleck breitete sich auf seiner Weste aus. Würden Kirchendiener so brutal und rücksichtslos mit jemandem umspringen? Was führten die Kerle im Schilde? Ihm brach der Schweiß aus. Seine Beine waren wachsweich. Wie hatte das alles passieren können? Warum steckte er im Körper eines alten Mannes fest und musste für dessen Sünden zahlen?
    Hinter einem weiteren Durchgang zerrten die Ganoven ihn nach links in den westlichen Korridor des Kreuzganges. Die mit Kreuzrippen überwölbten Arkaden rund um den quadratischen Innenhof waren früher das Zentrum des klösterlichen Lebens gewesen. Jetzt hielt sich keine Menschenseele darin auf. Es schien, als habe da jemand den Rest der Welt ausgesperrt, um an diesem geheiligten Ort ungestört seinem ganz und gar unheiligen Treiben nachzugehen.
    Ein Zittern durchlief den hinfälligen Leib, in dem Arian gefangen war. Nicht zu wissen, was mit ihm geschah, machte ihn fast wahnsinnig. Die Furcht lähmte seine Gedanken wie Gift. Benutze deine Talente und überrasche sie! , beschwor er sich. Arian verstand sich auf die Verwandlung der klassischen Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft. Nicht dass er tatsächlich Steine entflammte oder aus Luft Mauern erschuf. Alles, wozu seine Fähigkeiten reichten, waren täuschend
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