Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Masken des Morpheus

Die Masken des Morpheus

Titel: Die Masken des Morpheus
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
ragten Spitztürmchen empor. Zwischen diesen verlief ein Kranz aus durchbrochenen, spitzen Zinnen. Die Ganoven traten gerade dicht an die Brüstung heran. Ihr Atem ging keuchend, so als litten sie unter Schwindsucht im Endstadium.
    Eine bessere Gelegenheit bekommst du nicht, sagte sich Arian. Er biss die Zähne zusammen, um nicht vor Schmerzen zu ächzen. Mühsam richtete er sich auf.
    »Was für eine elende Plackerei!«, beschwerte sich Slit, beugte sich über die Brüstung und blickte nach unten.
    »Wem sagst du das! Das Leben ist manchmal hart zu einem«, pflichtete Hooter ihm bei.
    »Schmeißen wir den Alten gleich hier runter?«
    »Ja. Direkt vor das große Westportal hat der Boss gesagt. Ist doch richtig, oder?«
    »Korrekt. Er will ein Riesenspektakel mit Blut, Gedärmen und allem Drum und Dran. Damit sich nie wieder einer mit ihm anlegt.«
    »Am besten wir kippen den Franzmann möglichst weit rechts über die Brüstung, sonst klatscht er uns noch aufs Dach von dem Anbau da und niemand kriegt was mit.«
    »Na, dann los. Bringen wir’s hinter uns. Ich brauche dringend ein Bier.«
    Gerade rechtzeitig hatte es Arian auf die Füße geschafft. Hoffentlich verließ ihn nicht die innere Kraft, die er gleich brauchte. Wie ein Betrunkener wankend, bleckte er unter der enormen Anstrengung die Zähne. Er versuchte, es wie ein bedrohliches Grinsen aussehen zu lassen. »Jetzt verwandle ich mich in die Flamme, die euch bei lebendigem Leibe verbrennt«, rief er.
    Früher wäre das keine leere Drohung gewesen. Da hatte er gleichsam mit einem Geistesblitz ein loderndes Feuer entfachen können. Sogar den verruchten Zoltán, dessen Machenschaften Arians Eltern zum Verhängnis geworden waren, hatte er herauszufordern gewagt. Der Preis dafür war hoch gewesen. Um den Großmeister der Puppenspielergilde zu bezwingen, hatte er seine Gaben geopfert. Nur die Trugbilder waren ihm geblieben, ein Abglanz seiner verlorenen Macht. Aber das ist eine zu lange und aufregende Geschichte, um sie hier zu erzählen. Jedenfalls war aus dem einstigen Wunderkind Arian Pratt schließlich der Gaukler Mike Astley geworden, der nur noch die Herzen des Theaterpublikums zu entflammen vermochte – manchmal erschreckte er es auch mit spektakulösen Illusionen wie jener, mit der er nun die Mordbuben auf dem Dach überraschte.
    Arian verwandelte sich in eine lebendige Fackel. Er meinte, die Hitze in seinem Innern zu spüren, so sehr forderte er seine Vorstellungskraft. Die Flammen spiegelten sich in der blutigen Pfütze, in der er stand. Dummerweise fauchten sie nicht wie richtiges Feuer, weshalb er die passenden Geräusche mit seiner Bauchrednerstimme machen musste. Das Ergebnis war trotzdem beeindruckend.
    Slit keuchte. »Der Alte ist tatsächlich ein Hexenmeister. Ich hab’s nicht glauben wollen, als der Boss uns vor seinen magischen Künsten warnte.«
    Rückwärtsgehend wankte Arian auf die Tür zu, die zu den Treppen führte. Wenn er es bis dahin schaffte, konnte er sie von innen verriegeln.
    »Wir müssen ihn aufhalten«, knurrte Hooter und lief unerschrocken auf Arian zu. Der Waliser förderte hinter seinem Rücken ein Messer zutage, dass beinahe so groß wie die Klinge des Schlitzers war.
    »Ich will nicht bei lebendigem Leibe gebraten werden«, jammerte der.
    »Genau das wird der Boss mit uns anstellen, falls wir den Franzosen laufen lassen. Jetzt mach hinne, Dicker!«
    Arian drehte sich um und hinkte auf die Tür zu. Schmerzen und Schwäche machten jeden Schritt für ihn zur Qual. Er hörte die Mörder nahen. Viel zu schnell! Zornig wirbelte er herum. »Bleibt stehen!«, brüllte er.
    Der Schlitzer zögerte.
    »Komm schon, Hasenfuß«, rief Hooter, ohne innezuhalten. »Das sind nur leere Drohungen. Wäre er in der Lage uns zu schaden, hätte er es längst getan.« Im Nu hatte er Arian umlaufen und baute sich vor der Tür auf.
    Slit überwand seine abergläubische Furcht und stampfte auf den vermeintlichen Hexenmeister zu. Seine große Klinge blitzte in der Sonne, als er in die Pfütze mit Arians Blut trat. Plötzlich hallte hinter ihm aus der Höhe eine Stimme.
    »Du wirst in der Hölle schmoren, Slit, wenn du auch nur ein Haar dieses Mannes krümmst.«
    Der Schlitzer fuhr entsetzt herum und rutschte in der Blutlache aus. Er warf die Arme hoch, verlor den Boden unter den Füßen, landete auf dem Rücken und schlug mit dem Hinterkopf auf. Benommen verdrehte er die Augen.
    Zumindest eine Bedrohung hatte sich Arian mit seinem Bauchrednertrick vom
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher