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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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als bei den anderen Methoden. Denn es ist unerläßlich, daß der Therapeut behutsam vorgeht und über große klinische Erfahrung verfügt. Der Patient sollte mißtrauisch sein gegenüber zu schnell ausgebildeten Therapeuten, die sich damit begnügen würden, traumatische Erinnerungen wachzurufen, ohne die Gesamtheit der Person zu berücksichtigen.
     
     
    Die systemischen Psychotherapien
     
    Das Hauptziel der systemischen Familientherapie ist nicht die Besserung der Symptome eines einzelnen, sondern die der Kommunikation und der Individuation der verschiedenen Mitglieder der Gruppe. In der Paartherapie ist das Paar der Patient und nicht der eine oder der andere der Partner. In der Familienpsychotherapie bezeugen die Therapeuten durch eine vielschichtige Stellungnahme ein gleiches Interesse für jedes der Familienmitglieder. Sie bemühen sich, gegen die Etikettierungen – z. B. der «Perverse», das «Opfer» – zu kämpfen, um einen interaktiven Prozeß zu analysieren.
    Als Viktimologe aufzutreten scheint möglicherweise für Systemiker auf eine lineare Erklärung hinauszulaufen. Aber die Anerkennung der Persönlichkeit eines jeden als grundlegende Voraussetzung schließt nicht aus, Prozesse wechselseitiger Verstärkung zu berücksichtigen. Man kann zum Beispiel sagen: Ein um seinen Partner zu fürsorglich bemühtes Individuum verschärft bei ihm eine Neigung zur Abhängigkeit, die der nicht erträgt. Dieser reagiert, indem er auf den anderen Ablehnung und Aggressivität projiziert; der wiederum, weil er die Reaktion nicht versteht, neigt dazu, sich schuldig zu fühlen und sich noch aufmerksamer zu zeigen, was die Ablehnung seines Partners wiederum steigert. Diese systemische Erklärung hat nur Sinn, wenn man die Tatsache berücksichtigt, daß der eine der Protagonisten von der Persönlichkeit her eher ein narzißtischer Perverser ist und der andere einen Hang dazu hat, sich schuldig zu fühlen.
    Die systemischen Hypothesen – z. B. der Begriff der Homeostasie der Familien (um jeden Preis das Gleichgewicht aufrechtzuerhalten) oder der Begriff der doppelten Bindung (die Kommunikation blockieren, um Denkvorgänge zu lähmen) – helfen uns, das Zustandekommen der Einflußnahme zu verstehen. Dennoch läuft eine streng systemische Beweisführung, die keinen Aggressor und keinen Angegriffenen kennt, sondern einzig eine pathologische Beziehung, auf klinischer Ebene Gefahr, den Schutz des Individuums aus dem Blick zu verlieren.
    Es ist äußerst nützlich, die zirkulären Prozesse zu analysieren, um eine Situation zu entschärfen, die noch eine gewisse Formbarkeit besitzt: Das erlaubt es, die Verhaltensweisen eines Familienmitglieds mit denen eines anderen in Verbindung zu bringen. Aber wenn der Übergang vom Stadium des beherrschenden Einflusses zum Stadium des Quälens bereits vollzogen ist, hat sich der Prozeß verselbständigt, und es ist nicht mehr möglich, ihn zu unterbrechen, indem man auf die Logik oder den Änderungswillen der Protagonisten zählt.
    Die Perversion beim Namen zu nennen hat eine moralische Konnotation, die Mißbilligung im Gefolge hat, welche viele Therapeuten nicht auf sich nehmen wollen. Sie ziehen es vor, eher von einer perversen Beziehung zu sprechen als von einem Aggressor und seinem Opfer. Der angegriffene Mensch wird so alleingelassen mit seinem Schuldgefühl und kann sich nicht lösen aus dem todbringenden Klammergriff des ihn beherrschenden Einflusses.
    Auf alle Fälle geschieht es höchst selten, daß ein narzißtischer Perverser eine Beratung in einer Familien- oder Paartherapie annimmt, weil es ihm unmöglich ist, sich wirklich in Frage zu stellen. Diejenigen, die es zu tun wagen, sind Individuen, die perverse Abwehrmechanismen gebrauchen, ohne wirklich pervers zu sein. Anläßlich aufgezwungener Beratungen – zum Beispiel Vermittlungen auf Verlangen eines Richters – haben die Perversen die Tendenz, auch den Vermittler zu manipulieren, um ihm vorzuführen, wie «boshaft» doch der Partner ist. Es ist folglich wichtig, daß die Therapeuten oder Vermittler besonders wachsam sind.
     
     
    Die Psychoanalyse
     
    Sagen wir es gleich: Eine psychoanalytische Standardbehandlung ist nicht geeignet für ein Opfer, das noch unter dem Schock der perversen Gewalt und der Demütigung steht. Denn die Psychoanalyse interessiert sich vor allem für das Intrapsychische und berücksichtigt nicht die sekundären Pathologien in der Beziehung zu dem anderen. Ihr Ziel ist es, die Triebkonflikte der
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