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Die Masken der Niedertracht

Die Masken der Niedertracht

Titel: Die Masken der Niedertracht
Autoren: Marie-France Hirigoyen
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Kindheit zu analysieren, die verdrängt wurden. Ihr starres Protokoll (regelmäßige und häufige Sitzungen; der Patient auf der Couch ausgestreckt, mit dem Analytiker außerhalb seines Gesichtsfeldes) – von Freud so gewollt, um die Übertragung zu kontrollieren – kann eine unerträgliche Frustration auslösen bei jemanden, der unter einer vorsätzlichen Kommunikationsverweigerung gelitten hat, und kann ihn dazu verleiten, den Psychoanalytiker mit dem Aggressor gleichzusetzen und so einen Zustand der Abhängigkeit «verewigen».
    Erst wenn das Opfer hinreichend wiederhergestellt ist, kann es eine Psychoanalyse beginnen; erst dann kann es mit Hilfe der Anstrengung des Sicherinnerns und Verarbeitens verstehen, was in seiner Kindheitsgeschichte seine zu große Duldsamkeit gegenüber dem anderen erklären könnte, und die Schwachpunkte erhellen, die dem Perversen die Umklammerung erlaubt haben.
    Während die Psychoanalyse auf eine Veränderung der darunterliegenden psychischen Struktur abzielt, versuchen die anderen Psychotherapien, eine Besserung der Symptome zu erreichen und die Abwehrkräfte zu stärken – was auf andere Weise eine tiefgreifende psychische Veränderung bewirken kann. Auf jeden Fall ist die voraufgehende Wegstrecke der Wiederherstellung unerläßlich für das Opfer, das sich lösen muß von der kürzlich erlebten Geschichte, bevor man die Verletzungen seiner Kindheit heraufbeschwört.
    Die Psychoanalyse allein vermag nichts. Keine Therapie bietet wundertätige Lösungen an, die dem Patienten gestatten würden, sich die Anstrengung der Veränderung zu ersparen. Man kann sagen, daß der theoretische Rahmen wenig bedeutet. Was wesentlich ist, ist die Zustimmung des Patienten zum Therapeuten und seiner Methode sowie die Strenge und der Einsatz des Psychotherapeuten. Es wäre nötig, daß die Psychoanalytiker aufhörten, sich starr auf eine Schule zu versteifen, und sich anderen Perspektiven öffneten. Das kommt langsam in Sicht; denn immer mehr junge Psychiater und klinische Psychologen sind offen für verschiedene Theorien, und Therapeuten unterschiedlicher Richtungen fangen an, sich untereinander auszutauschen. Weshalb sich nicht einen Übergang von einer Therapieform zu einer anderen vorstellen oder gar eine Integration bestehender psychotherapeutischer Praktiken?
     
     
     
     

Schlußbemerkung
     
     
    Auf diesen Seiten haben wir die Entwicklung perverser Prozesse in bestimmten Zusammenhängen gesehen. Aber es liegt auf der Hand, daß diese Liste nicht erschöpfend ist und daß diese Erscheinungen nicht nur in der Welt des Paars, der Familie oder des Unternehmens auftreten. Man trifft sie bei allen Gruppen an, in denen Individuen miteinander wetteifern können, insbesondere an Schulen und Universitäten. Die menschliche Phantasie ist grenzenlos, wenn es darum geht, im anderen das gute Bild zu töten, das jeder in sich trägt. Man verbirgt so seine eigenen Schwächen und versetzt sich in die Position der Überlegenheit. Die gesamte Gesellschaft ist betroffen, sobald es um die Macht geht. Von jeher gab es Menschen ohne Skrupel, berechnend, manipulierend, für die der Zweck die Mittel heiligte. Aber die gegenwärtige Häufung perverser Handlungen in Familien und Unternehmen ist ein Symptom des Individualismus, der unsere Gesellschaft beherrscht. In einem System, das nach dem Gesetz des Stärkeren, des Gerisseneren funktioniert, sind die Perversen Könige. Wenn der Erfolg der oberste Wert ist, erscheint Redlichkeit als Schwäche und Perversität als Gewitztheit.
    Unter dem Vorwand der Toleranz verzichten die westlichen Gesellschaften nach und nach auf ihre eigenen Verbotsnormen. Aber dadurch, daß sie zuviel einfach hinnehmen – so, wie es die Opfer der narzißtischen Perversen tun –, tragen sie das Ihre dazu bei, daß perverse Vorgehensweisen sich in ihrer Mitte entwickeln. Zahlreiche leitende Persönlichkeiten und Staatsmänner, die doch Vorbilder für die Jugend sein sollten, scheren sich nicht um Moral, wenn es darum geht, sich einen Rivalen vom Hals zu schaffen oder sich an der Macht zu halten. So manche mißbrauchen ihre Vorrechte, wenden psychischen Druck an, berufen sich auf die Staatsräson oder die militärische Geheimhaltungspflicht, um ihr Privatleben abzuschirmen. Andere bereichern sich durch trickreiche Kriminalität: Unterschlagung gesellschaftlichen Vermögens, Betrug oder Steuerhinterziehung. Bestechung ist an der Tagesordnung. In dieser Situation reichen ein oder mehrere
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