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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer
Autoren: Burkhard Driest
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schienen die Laute aus irgendeinem unguten Traum zu stammen, doch dann lösten sie sich von mir, und es war, als schliche jemand über eine dumpf knarrende Diele. Sobald das Geräusch anschwoll, klang es wie das Grunzen seltsamer Tiere aus dem Garten, die ich in meinen Märchen suchte, aber dort nicht fand. Schließlich entledigte sich der Klang auch dieser Gestalten und stieg aus dem Garten oder Keller zu mir herauf, um als Erscheinung böser und gefährlicher Gewalten in mich zu schlüpfen. Entsetzt wich ich davor zurück, aber ich konnte nicht fliehen. Umzingelt von meiner Angst, war ich ausgesetzt. Meine Verlassenheit wurde größer und größer, bis ich mich in ihr aufzulösen drohte. Diesem letzten Schrecken meiner Vernichtung stemmte ich mich mit all der Kraft entgegen, die meine Lungen hergaben. Ich brüllte wie am Spieß. (Vielleicht hoffte ich auch, mit meinem Geschrei die Stimmen aus dem Schlafzimmer zu übertönen.)
     
    Wie mir Tante Kläre ein paar Mal berichtet hat, hatte es vor meiner Geburt eine heftige Diskussion um meinen Namen gegeben. Meine Eltern konnten sich offenbar lange nicht einigen. Entzücken sollte er, aber zugleich auch jeweils die Haupteigenschaft vermitteln, die Mutter und Vater mir zu vererben gedachten. Meine Mutter war angeblich für Robert gewesen, weil sie Schumann so liebte, mein Vater für Tronje als Sinnbild treuer Kriegerschaft. Damit hatte er sich nicht durchsetzen können, und schließlich hatten sie sich auf Burkhard geeinigt, wobei es meiner Mutter noch gelungen war, das T in ein D zu verwandeln. Das Ende der Diskussion fand laut Tante Kläre am 19. April in einem D-Zug-Abteil des Zuges nach Berlin statt. Lange war es der Traum meines Vaters gewesen, den nationalen Geburtstagsfeierlichkeiten des Führers am 20. April beizuwohnen. Meine Mutter begleitete ihn, weil sie nicht von seiner Seite weichen wollte. Er war in jeder Hinsicht die große Liebe ihres Lebens, von der sie trotz aller familiären Warnungen nicht lassen konnte.
    Sie hatte sich durchgesetzt, hatte ihn geheiratet, war dann mit mir schwanger geworden und reiste neun Tage vor meiner Geburt von Naugard nach Berlin, weil ihr Mann, persönlicher Adjutant des Führers der SA Bereich Pommern, die Stimme Adolf Hitlers hören und, wenn möglich, ihm auch in die Augen schauen wollte. Heute oder morgen an seinem Geburtstag. Meine Mutter sollte auch schauen, die Ekstase sollte sich auch auf sie übertragen, aber sie interessierte sich nicht für Adolf, sie interessierte sich nur für Kurt, ihn wollte sie im Auge behalten, ihn riechen, ihn spüren, ihn tragen und von ihm getragen werden. Es war gleichgültig, was er ihr sagte, sie wollte nur seine Stimme hören, deren tiefes Vibrieren, das ihr Herz berührte und es in sanfte Schwingungen versetzte. Diese Schwingungen lösten bei ihr, wie sie mal sagte, Engelschöre und Sphärenmusik aus. Auch später nach ihrer Scheidung blieb sie dabei. Sphärenmusik, aber keine Märsche, wie er sie nach ein paar Schnaps intonierte, wobei er sich selbst mit der rechten Hand begleitete. Er bumste den Takt mit dem Handballen auf die Tischplatte und imitierte die schnellen Trommelwirbel mit den Fingern.
    Nein, die Musik meiner Mutter war ganz und gar nicht der stampfende Ausdruck von Macht, ihre Musik war eher inspiriert von erotischen Gefühlen. Sie liebte Schumann, seit sie im Konservatorium in Stettin Klavier studiert hatte. Das war zu einer Zeit, als ihr noch nicht bewusst gewesen war, dass sich ihr Land – oder besser – ihre Welt, das heißt, alles was sie umgab, einer wüsten Unordnung verschrieben hatte, wie sehr sich dieser Verfall auch den Anschein von Ordnung gab. Am Schluss würde es heißen, wenn das Volk nicht imstande wäre zu siegen, verdiente es seine Niederlage und seinen Untergang. Es war ein Volk, das bereit war, so wurde mir später klar, den Sinn in allem zu sehen, sofern es ihn bloß nicht selbst suchen musste. Ein Volk, das das innere Leiden, auch das Leiden einer persönlichen Sinnsuche, vollständig durch äußeres Gebrülle, Gestampfe, Getöse, Geknatter und unablässige Befehle, Heil-Rufe und anderen Lärm so lange zu überdecken suchte, bis ihm die Zähne ausgebrochen, seine Frauen geschändet, seine Kinder verrückt und seine Felder und Städte verwüstet worden waren.
    Neun Tage vor meiner Geburt mahlte sich der gleichmäßige Takt der Eisenbahnräder in mein Nervenkostüm, sodass ich Zeit meines Lebens in diese pränatale Trance zurückfiel, wenn ich Zug
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