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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer
Autoren: Burkhard Driest
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Horror der Dunkelheit.
    Immer, wenn mein Vater für diese kurzen Urlaube zurück nach Hause kam, wurde ich weggesperrt. Nicht allein wegen der Lust und Bequemlichkeit meiner Eltern, sondern weil mein Vater einem Erziehungsprinzip huldigte: Unerbittlichkeit. Er sagte immer wieder zu meiner Mutter: »Wenn er schreit, und du gehst zu ihm ins Zimmer, gibst du ihm recht. Er macht die Erfahrung, dass er sich mit seinem Gebrüll durchsetzen kann. Er muss lernen, dass er seinen Willen auch durch seine Toberei nicht kriegt. Da musst du unerbittlich sein.«

4. KAPITEL
    A
    m nächsten Tag, meinem fünften Geburtstag, schliefen meine Eltern ziemlich lange, und es war Tante Lieschen, die mir zuerst gratulierte und mir beim Anziehen half. Sie war mit dem Frühzug aus Gollnow gekommen, hatte mein Zimmer unverschlossen vorgefunden und tröstete mich mit einem Frühstück in der Küche, bei dem ich das Brötchen in die heiße Honigmilch stippen durfte. Außerdem ließ sie mich mein Geschenk erraten: einen Gutschein für ein Pony. Pferde waren meine Lieblingstiere. Zehn Gutscheine brauchte ich, dies war der achte. »Noch Weihnachten und ein Geburtstag«, strahlte ich glücklich.
    Als meine Eltern aufgestanden waren, gab es das große Geburtstagsfrühstück, an dem auch Muckchen teilnahm. Sie schenkte mir einen Panzer, den sie selbst geschnitzt hatte. Bevor ich ihn entgegennehmen konnte, hatte ihn mein Vater in den Händen, drehte und wendete ihn und spendete fachmännisches Lob. Muckchen errötete.
    Dann reichte er ihn mir mit den Worten: »Dies ist ein Panther. Kannst du vergleichen mit dem russischen T-34, aber unserer ist besser bei gleicher Mobilität. Was wiegt er?«
    »30 Tonnen«, sagte Muckchen und sog tief an ihrer Zigarettenspitze.
    »Ja, und bei diesem relativ niedrigen Gewicht hat er durch die günstige Neigung der Panzerwände – hier, siehst du?« – er nahm ihn mir wieder weg und strich mit dem Finger über die Seiten – »… eine sehr gute Panzerwirkung.«
    »Das hat der T-34 auch«, sagte Muckchen und schwenkte ihre Zigarette Richtung Panzer, »aber der hier hat eine ganz moderne Feuerleitung.« Dann zog sie wieder, behielt aber die Spitze zwischen den Zähnen, »und hier …« – ruck, zuck hatte sie den Panzer in beiden Händen – »… Drehstabfederung und einen Drei-Mann-Turm.« Sie hielt das Schnitzkunstwerk hoch ins Licht, als sollte die Sonne aufgehen und hindurch scheinen. Dann gab sie ihn mir zurück, und Papa sagte:
    »Die Tiger sind zu unbeweglich, haben wir die Erfahrung gemacht.« Sein Ton war entspannt, er hatte sich zurückgelehnt, alle anderen »sendeten« nicht mehr, wie Muckchen, die Funkerin, gesagt hätte. Diese Schwingung von Kennerschaft verband im Moment nur sie mit ihm.
    Sie machte eine ausladende Bewegung mit Arm und Spitze, deren Mundstück rot wie ihre Lippen war. »Aber auf ihre Art auch sehr gefährlich.« Sie lachte.
    Natürlich bekam ich den Unterton nicht mit; erst später erfuhr ich von meiner Mutter, dass Muckchen meinen Vater bei ihren Sexspielen Tiger nannte.
    Nach dem Frühstück blieben sie alle noch sitzen, aber ich zeichnete, am Boden kniend, Loks, in voller Fahrt, wie sie qualmend aus dem Tunnel donnerten. Ich hatte die Angewohnheit, zu zeichnen oder mit Farbe zu klecksen und zu pinseln, wenn meine Seele wie diese Loks überdampften. Tante Kläre machte alle darauf aufmerksam und sagte, »Wie schön er zeichnet!«. Worauf mein Vater blaffte: »Wer hat gesagt, dass du aufstehen darfst?«
    »Es ist sein Geburtstag«, meinte meine Mutter beschwichtigend, worauf er lächelte und sagte: »Oh ja, ich wollte dir ja noch mein Geburtstagsgeschenk zeigen. Geh schon mal in mein Zimmer, ich komme gleich.«
    Gehorsam ließ ich meinen Zeichenblock liegen und ging in sein Zimmer. Es hatte eine gepolsterte Tür, die ich hinter mir zuschob. Noch immer war ich verbittert und blieb mit dem Rücken an der Tür stehen. Mir gegenüber hing ein Hitler-Bild in schwarzem Rahmen, der Held meines Vaters, dem er einmal gegenüber gestanden und in die blauen Augen geschaut hatte, wie er Besuchern stets erklärte. Ich mochte den Mann auf dem Bild nicht, seine Haare hingen ihm hässlich ins Gesicht. Zu poliert glänzten sie am Scheitel. Tief über seine Schulter lief ein Lederriemen.
    Um den Rauchtisch stand eine Ledergarnitur und in der Ecke, schräg zum Fenster, der Schreibtisch. Dahinter an der Wand hing ein Ölgemälde, ein aufsteigender Schimmelhengst mit wehender Mähne. Das Bild mochte ich und
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