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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer
Autoren: Burkhard Driest
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beobachtete zwei Soldaten, die sich begrüßten, sich kurz und kräftig die Hände schüttelten, wobei der eine sagte: »Mehr als dreißig Einsätze in Cholm geflogen.«
    »Hoffnungslos?«
    Der Ankömmling lachte kurz auf. »Wer hat dir das Adjektiv beigebracht? Heeresgruppe Nord steht kurz vor einem Entsatz-Angriff. Da wird von den Russen nur ihr schlechter Geruch übrig bleiben.« Wie nebenbei warf er meiner Mutter und Papa einen Blick zu, zog die Augenbrauen hoch und sagte spöttisch zu seinem Kollegen: »Mal sehen, was die Heimat uns zu bieten hat.« Er nahm seinen Koffer auf, und sie gingen davon.
    Der Kuss meiner Eltern dauerte noch an, obgleich ich unter der Skimütze gar nicht sehen konnte, was sie genau taten. Ich hatte abgeschaltet. Ich beteiligte mich erst wieder, als der pelzige Muff meiner Mutter zu Boden fiel. Ich hob ihn auf, hielt ihn mir an den Mund, streichelte meine Lippen mit dem weichen Fell und sog den Duft des Parfüms ein, mit dem meine Mutter ihren Handwärmer oft betropfte.
    Der Geruch und die Berührung beruhigten mich, doch gerade als mein Herz langsamer schlug, bekam ich einen Knuff auf die Mütze und hörte über mir meines Vaters sonore Stimme: »Na, Hein Mück, Vorfreude schon da?«
    Er nannte mich, wenn er »aufgeräumt« war, Hein Mück. Ich hasste das. Ich wusste nicht, wer Hein Mück war und was der Name symbolisieren sollte.
    Meine Mutter zog mir die Mütze vom Kopf, sodass ich nicht vergessen konnte, sie bei der Begrüßung abzunehmen. Dann entwand sie mir den Muff, damit meine rechte Hand frei war, um sie meinem Vater hinzustrecken. Diese Begrüßung mit Hacken-Zusammenknallen hatte Muckchen Mattes gestern nach ihrer Ankunft mit mir geübt, nachdem sie ihren Koffer ausgepackt hatte, in dem auch ein Geschenk für mich war, wie ich mit einem schnellen Blick feststellen konnte. Sie war Funker bei einer Flakeinheit in Stettin und bewunderte meinen Vater »abgöttisch«, wie Tante Kläre sagte. Diese Bewunderung hatte auch einen sexuellen Hintergrund, wie ich viele Jahre später von meiner Mutter erfuhr. Das Besondere an ihr war: Sie trug immer einen Kamm seitlich im Haar, mit dem sie, bevor sie ihn einsteckte, ihre glänzende braune Mähne auf die andere Seite schob. Imposant war auch, dass sie ihre Zigaretten aus einer sehr langen Bernsteinspitze rauchte, die sie in großem Bogen durch die Luft schwang, wenn sie eine ihrer amüsanten Ausführungen über die Kriegsereignisse machte. Da sie Kettenraucherin war, hatte sie die Spitze immer in der Hand. Diese viele Raucherei war auch der Grund, erklärte mir Tante Kläre, weshalb sie eine Spitze benutzte, denn sonst hätte sie den halben Tag am Waschbecken stehen und ihre Finger mit Bimsstein schrubben müssen.
    Muckchen hatte eine tiefe, leicht heisere Stimme, mit der sie kollernd oder gurrend lachte. Sie hatte kräftige Brauen und große braune Augen, mit denen sie ihr Gegenüber, wenn es etwas erzählte, genau betrachtete. Sie unterbrach nicht, sondern wartete, bis derjenige fertig war, ließ zwei weitere Sekunden verstreichen, ehe sie zu lächeln begann und antwortete. Diese kleine Pause gab ihrem Lächeln oft etwas Verruchtes, denn es war, als lächelte sie nicht über die Bemerkung ihres Gegenübers, sondern über das, was die Engländer einen second thought nennen, einen Hintergedanken und zwar einen obszönen. Das war eine der Seiten, die meinen Vater an ihr reizten, und irgendwie spürte ich das. Ich spürte, dass etwas nicht in Ordnung war. Muckchen hatte auch einen Oberlippenbart, und einmal hörte ich, wie meine Mutter in der Küche zu Tante Kläre sagte, Frauen mit einem Oberlippenbart seien besonders scharf. Es war kein Bart, wie Männer ihn trugen, aber ihr Haarflaum auf der Oberlippe war so dicht, dass er einen dunklen Schatten warf. Mich faszinierte das, und ich musste immer wieder hinschauen. Eigentlich wäre Muckchen jetzt am Bahnhof mit dabei gewesen, aber meine Mutter hatte ihr den Wunsch abgeschlagen. Im Gegenteil, sie hatte sie aufgefordert, abends zu Freunden zu gehen, weil sie mit Papa eine dringende Sache zu besprechen hätte. Wahrscheinlich würde sie gar nicht mehr da sein, wenn wir nach Hause kämen.
    Ich drückte Papis Hand, so kräftig ich konnte, und knallte dabei die Hacken zusammen, obwohl nichts zu hören war, weil sich Sand zwischen meine Schuhe geschoben hatte.
    »Er kann einen ja schon richtig begrüßen«, sagte er, ergriff seinen Koffer, hakte meine Mutter unter und ging mit ihr zum Ausgang. Ich
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