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Die Mädchen (German Edition)

Die Mädchen (German Edition)

Titel: Die Mädchen (German Edition)
Autoren: Oliver Döhring
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links,
das Bett gegenüber und sein Kleiderschrank neben der Tür. Selbst die Vorhänge
waren dieselben, auch wenn sie ein wenig gekürzt worden waren. Das einzig
andere waren die Dielen statt des Teppichs. Es war unglaublich. Er musste schlucken,
um nicht schon wieder in Tränen auszubrechen.
    „Gefällt es dir?“
    Er drehte sich zu ihr um. „Du hast
nichts verändert.“
    Sie machte einen Schritt zurück.
„Ich lass dich mal besser allein. Wenn du mich suchst, ich bin unten.“
    Er sah ihr noch einen Augenblick
nach und schloss dann die Tür. Er warf die Tasche auf den Boden und atmete tief
durch. Das Fenster war geöffnet und er konnte den Verkehr hören. War das die
Autobahn oder die Friedenstraße? Er ging ans Fenster und sah hinaus. Sein Blick
wanderte über den kleinen Garten, in dessen Mitte eine Wäschespinne stand, die
in dieser Jahreszeit sicher kaum gebraucht wurde. Weit dahinter konnte er ein
Gebäude sehen, das in den letzten Jahren am Lohmühlenteller neu errichtet
worden war. Es sah aus wie ein Parkhaus, aber er glaubte irgendwie nicht, dass
es eines war. Er konnte außerdem die Rückseite eines flacheren länglichen Baus
sehen, früher Max Bahr, jetzt mit Sicherheit etwas anderes, weil er das Schild
des Baumarktes weiter weg sehen konnte. Die schienen auf die andere Seite der
Lohmühle gezogen zu sein und ordentlich vergrößert zu haben. Es war wirklich
erstaunlich, was sich in der Zeit auf diesem Fleck alles getan hatte. Was er
wohl erst an anderer Stelle verpasst hatte?
    Er atmete tief durch. Nur nicht
daran denken, was hätte sein können. Er konnte die Zeit nicht zurückdrehen.
Niemand konnte das. Was brachte es also, an die Vergangenheit und die entgangenen
Chancen zu denken? Er musste nach vorn blicken. Und das, was da vor ihm lag,
war schwer genug. Allein diese Ungewissheit, ob man sich an ihn erinnerte,
machte ihn ganz nervös. Er seufzte und zog die Vorhänge zu, wobei er das
Fenster geöffnet ließ. Es war schön, mal wieder normale Geräusche zu hören und
wenn es nur Verkehrslärm war. Er entledigte sich seiner Schuhe, zog Hemd, Hose
und Socken aus und schmiss sich anschließend in T-Shirt und Unterhose auf das
Bett. Er hatte gerade angefangen nachzudenken, ob er überhaupt schlafen konnte,
da war es schon um ihn geschehen.
    Er erwachte seltsam entspannt.
Zuerst wusste er gar nicht, wo er war. Es roch so anders, so frisch irgendwie.
Und wieso hörte er kein Schnarchen von Vladimir
Fjodor
? Erst dann dämmerte
es ihm. Er war ja draußen. Und sofort begann sein Herz wie wild zu klopfen. Er
war tatsächlich draußen. Er sah auf den Radiowecker, der neben dem Bett auf dem
Fußboden stand. Die roten Zahlen zeigten 4:30 Uhr an. Er kniff die Augen
zusammen und schaute noch einmal genau hin. Ja, kein Zweifel. Da hatte er doch
tatsächlich fast fünfzehn Stunden geschlafen. Kein Wunder, dass er sich so erholt
fühlte. Allerdings war es da auch nicht weiter verwunderlich, dass seine Blase
drückte wie verrückt. Die sprichwörtliche Morgenlatte schmerzte beinahe. Er
setzte sich auf und lauschte. Es regnete, aber ansonsten hörte er nichts. Seine
Mutter schlief sicher noch tief und fest. Jetzt bereute er, dass er sich nicht
doch erst das Haus hatte zeigen lassen. Wo, verdammt, war denn hier das Klo?
    Er warf die Bettdecke zurück.
Daran, dass er sich zugedeckt hatte, konnte er sich gar nicht erinnern. Er
stand auf und ging zur Tür. Er öffnete sie einen Spalt und hielt erneut inne.
Nichts. Er machte sie ganz auf und trat in den Flur. Es war zwar noch dunkel,
aber nicht stockfinster. Er sah drei weitere Türen. Hinter welcher mochte sich
eine Toilette befinden? Er versuchte es an der Tür gegenüber. Er legte sein Ohr
ganz eng heran. Hören konnte er nichts. Dann beugte er sich hinunter und
blickte durch Schlüsselloch. Es steckte kein Schlüssel von der anderen Seite,
was den Raum für eine Toilette eher unwahrscheinlich machte. Dann nahm er sich
die Tür neben seinem Zimmer vor. Das gleiche Vorgehen offenbarte zumindest
einen Schlüssel von innen. Er drückte langsam die Klinke hinunter. Nichts. Er
zog die Hand weg, als ob er sich verbrannt hatte. Mein Gott! Die Erkenntnis
traf ihn wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Seine Mutter hatte solche Angst vor
ihm, dass sie sich in ihrem Schlafzimmer einschloss. Also war alles nur
geheuchelt. Diese ganze Litanei, dass sie an seine Unschuld glaubte und alles
versucht hatte, ihn herauszupauken. Alles nur ein Märchen. Sie war von seiner
Schuld genauso
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