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Die Mädchen (German Edition)

Die Mädchen (German Edition)

Titel: Die Mädchen (German Edition)
Autoren: Oliver Döhring
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ihm umgehen würde. Aber er hielt
sich zurück. Stattdessen atmete er tief durch, zählte im Geist bis zehn und
näherte sich anschließend ganz behutsam seiner Seite, um seine Sachen dort abzulegen.
    Weit kam er nicht. Vladimir
Fjodor
packte ihn am Arm,
dass er das Gefühl hatte, er würde ihn zerquetschen, und zog ihn zu sich
hinunter, sodass sein Kopf neben seinem war. Seine Sachen fielen auf den Boden.
    „Iech weiß, was du chast getan“,
presste der Russe hervor.
    Christopher wurde ganz übel von dem
Schmerz und dem Gestank, der von dem Mann ausging. „Das iech find widerliech.
Am liebsten iech wierde täten diech.“
    Christopher hatte wie Espenlaub
gezittert. Großartig, dann mach es bitte schnell. Doch zu seiner Überraschung
ließ Vladimir
Fjodor
ihn los und stieß
ihn auf sein Bett.
    „Aber waruhm iech mier soll
schmuhtsig machen Chände? Chier jeder iest ganz scharf darauf, es besorgen
dier.“
    Vladimir
Fjodor
erhob sich und
baute sich vor ihm auf. „Deschalb du passen auf, Junge. Du fir miech arbeiten.
Chleiniechkeit hier, Botengang da und iech diech beschietze. Verstanden?“
    Was sollte er tun? Hatte er eine
Wahl? Natürlich war er einverstanden. Christopher nickte eifrig.
    Vladimir
Fjodor
kontrollierte seine
Fingernägel. „Natierliech chast du. Du wissen, was passieren sonst.“
    So hatte er also seinen ersten
Deal, bevor er hatte bis drei zählen können. Und das war ein Glück. Der Russe
hielt sein Wort. Mit ihm legte sich niemand an. Letztendlich war es also genau
das Bedrohliche an Vladimir
Fjodor
, das Christopher im Gefängnis
schützte. Nur einmal kam es in den Duschen zu einem Vorfall. Der Typ, der
Christopher von hinten angegriffen und sich an ihm vergangen hatte, tauchte
danach nie wieder auf. Christopher wusste nicht, was mit ihm geschehen war,
aber es war ihm auch egal. Gerüchte sagten, man hatte ihn erhängt in seiner
Zelle gefunden, aber im Gefängnis erzählte man sich viel. Jedenfalls gingen
alle davon aus, dass Vladimir
Fjodor
dahinter steckte, auch wenn niemand
sagen konnte, wie er es bewerkstelligt haben sollte. Christopher vermutete
fast, Vladimir
Fjodor
hatte das Gerücht
selbst in die Welt gesetzt. Wie auch immer, die anderen Insassen hüteten sich
fortan, sich Christopher auch nur auf ein paar Schritt zu nähern, wenn er das
nicht selbst wollte. Und auch seine Bedenken den Wärtern gegenüber wegen der
illegalen Geschäfte, die er unterstützte, stellten sich als unnötig heraus.
Entweder bekamen die wirklich nichts mit oder sie hatten selbst Schiss vor Vladimir
Fjodor
und seinen Kumpanen
und sahen absichtlich weg oder sie wurden geschmiert.
    Er war also zurechtgekommen, im
Großen und Ganzen, aber die innere Einsamkeit, die Auseinandersetzung mit
seiner Tat, dabei konnte ihm Vladimir
Fjodor
nicht helfen. Der Richter damals hatte
ihn vor der Urteilsverkündung danach gefragt, ob er bereute. Er hatte ja gesagt
und es auch so gemeint. Und ob er das tat. Jeden verdammten Tag.
    Dass Christopher an diesem Morgen
knapp zwei Jahre vorzeitig entlassen wurde, schmeckte Vl a dimir
Fjodor
gar nicht. Immerhin
bedeutete es für ihn, sich nach jemand anderem umzusehen, der für ihn die
Drecksarbeit machte. Bis zuletzt hatte Christopher befürchtet, dass er
womöglich etwas unternahm, um seinen Aufenthalt zu verlängern, aber seine Angst
war unbegründet. Alles verlief nach Plan.
    Er hatte sich gefragt, wie es wohl
sein würde, wenn die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Was würde er spüren?
Freude? Erleichterung? Oder doch eher Zweifel und Unbehagen wegen der Ungewissheit,
die ihn draußen erwartete? Die Antwort darauf erhielt er an diesem Tag. Es gab
kein vorherrschendes Gefühl, sondern es war von allem ein bisschen und dazu kam
auch noch Angst. Angst vor der Zukunft, vor dem was kommen würde. Er war
immerhin acht Jahre vom Erdboden verschwunden gewesen. Es hatte sich so viel
verändert draußen. Würde er überhaupt zurechtkommen? Wo sollte er hin? Zunächst
konnte er sicher bei seiner Mutter unterkommen, aber auf Dauer war das kein
Zustand. Immerhin war er fast dreißig.
    Und was sollte er anfangen? In
seinen alten Job konnte er wohl kaum wieder zurückkehren, er hatte ja nicht
einmal seine Ausbildung damals beenden können. Und wer wollte in einer Bank
schon von einem wie ihm bedient werden?
    Das war ohnehin die größte Sorge,
die er mit sich herumschleppte. Würde man sich an ihn erinnern? Seine Mutter
war gleich nach der Verurteilung in einen anderen Stadtteil
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