Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mädchen (German Edition)

Die Mädchen (German Edition)

Titel: Die Mädchen (German Edition)
Autoren: Oliver Döhring
Vom Netzwerk:
überzeugt wie alle anderen. Sie hatte sich wohl nur so
kämpferisch gegeben, weil sie vermutete, dass man das von ihr als Mutter erwarten
würde.
    Ihm wurde schlecht. Er fühlte, dass
er sich jeden Augenblick würde übergeben müssen. Er eilte zur dritten Tür und
riss sie auf. Es war in der Tat ein Bad. Der Drang, seine Blase zu entleeren,
war auf einmal zweitrangig. Er schmiss sich vor die Toilette und hängte sich
über die Kloschüssel. Es war keinen Moment zu früh. Es war nur Flüssigkeit, der
er hoch würgte, er hatte ja seit Stunden nichts gegessen, aber die brannte wie
Feuer. Als nichts mehr kam, ließ er sich erschöpft zu Boden sinken.
    Erst jetzt merkte er wieder,
weswegen er ursprünglich aufgestanden war. Er quälte sich hoch und ließ sich
auf die Brille fallen. Er entleerte sich und schlug sich die Hände vor das
Gesicht. Wie sollte das hier weitergehen? Wie konnte er bei seiner Mutter
wohnen, wenn die nicht mal in Ruhe schlafen konnte, weil sie Angst hatte, dass
er ihr etwas antun konnte? Als ob er dazu jemals in der Lage gewesen wäre. Er
spülte und verließ das Bad. Er hatte sich nicht einmal genau umgesehen. Waren
Dusche und Badewanne vorhanden? Er hätte das nicht sagen können. Und es war ihm
auch egal. Er würde ohnehin nicht lange bleiben. Jedenfalls nicht, solange
seine Mutter ihm nicht vertraute.
    Er ging zurück in sein Zimmer und
legte sich wieder auf sein Bett. Total sinnlos! Er war hellwach. Ach was sollte
es? Da horchte er eben ein wenig auf die Geräusche, die von draußen hereinkamen.
Er war soeben doch ein wenig weggenickt, als er plötzlich eine Pforte gehen
hörte. Sofort begann sein Herz zu pochen, wie so oft, wenn man im Dämmerzustand
ungewöhnliche Laute vernahm. Er setzte sich auf. Das war doch ihre Pforte, oder
nicht? Da, wieder. Und er musste über sich selbst lachen. Natürlich, die Zeitung!
Na, wenn er sowieso wach war, konnte er sie genauso gut herein holen.
Vielleicht fand er ja eine Anzeige, auf die er sich bewerben konnte. Klar, auf
ihn hatten ja alle gewartet. Er hatte sicherlich eine Riesenauswahl an Angeboten.
    Er sprang hoch und holte einen
Pulli aus seiner Tasche. Im Bad vorhin hatte es ihn ziemlich gefröstelt. Er zog
seine Socken vom Vortag über und verließ dann sein Zimmer. Er ging die Treppe
hinunter, zur Haustür und öffnete sie. Er hatte richtig getippt. Im
Zeitungsfach unter dem Briefkasten lag die zusammengerollte Zeitung. Er nahm
sie mit hinein und schloss die Tür.
    Einen Moment war er unschlüssig, ob
er zurück nach oben gehen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Er wandte
sich nach links und betrat den Raum, der dort von der Diele abging. Es war die
Küche. Er machte Licht und sah sich um. Die Küche gefiel ihm. Sie schien
relativ neu zu sein, war nicht sonderlich groß, aber hatte genug Platz, dass
man zur Not auch zu viert an dem hellbraunen Tisch sitzen konnte, um zu
frühstücken. Die Stühle um ihn herum waren aus Metall und hatten ein
Korbgeflecht als Sitzfläche und die Einbauschränke hatten die gleiche Farbe wie
der Tisch. Was für ein Holz das war, wusste Christopher nicht. Da war er kein
Experte. Er fand nur, dass es irgendwie gemütlich wirkte.
    Er warf die Lübecker Nachrichten
auf den Tisch und ging an den Kühlschrank, der für ihn leicht auszumachen war.
Er schaute hinein und rümpfte die Nase. War seine Mutter unter die Vegetarierinnen
gegangen? Was sollte das viele Gemüse darin? Meine Herren, der Salat hatte auch
schon bessere Zeiten gesehen. Er nahm sich eine Dose Cola und ließ die Tür
zufallen. Dann öffnete er die Dose, die ein lautes Zischen von sich gab. Er
rechnete mit dem schlimmsten und streckte sie weit von sich, aber seine Sorge
war unbegründet. Es kam nur ein ganz bisschen Schaum zum Vorschein. Er nahm
einen Schluck und setzte sich an den Küchentisch. Ach, der Stuhl war ganz
bequem, wenn er denn auch nicht danach aussah.  
    Er breitete die Zeitung aus und
begann, ein wenig darin zu lesen. Gleichzeitig nippte er immer wieder an seinem
Getränk. Na, die Jobanzeigen konnte er getrost vergessen. Sollte er für einen
Euro pro Stunde irgendwo Laub zusammenharken? Oder eine Ausbildung? Sollte er
die in seinem Alter nochmals in Angriff nehmen?
    Er war gerade beim zweiten, mehr
regional ausgerichteten, Teil der Zeitung mit der Überschrift Hansestadt Lübeck
angekommen, als ihm der Atem stockte. Er hätte sich keine Gedanken machen
müssen, ob ihn jemand von früher erkennen würde oder nicht. Das war nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher