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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Charlotte Thomas
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huschte eine Ratte aus einem der Abfallhaufen und verschwand in der Dunkelheit.
    Piero erkannte sofort, dass sie hier ihr Ziel erreicht hatten.
    Die Frau, die halb sitzend, halb liegend mit dem Rücken gegen die Mauer lehnte, konnte kaum älter sein als Pasquale. Fünfzehn, vielleicht sechzehn Jahre. Ihr Haar war hell, fast weißblond, ein Farbton, für den so manche modebewusste Venezianerin töten würde. Allerdings war es weit kürzer, als Mode und Anstand es für eine junge Frau erlaubten. Es ringelte sich in wilden Locken um das schmale, schweißfeuchte Gesicht. Erst beim zweiten Hinsehen erkannte Piero, dass das Haar auf stümperhafte, vermutlich sogar gewaltsame Art gestutzt worden war. Das konnte noch nicht lange her sein. Stellenweise war es bis auf die Kopfhaut weggeschnitten, und hier und da war auch Blut zu sehen.
    Doch diese kleineren Verletzungen an ihrem Ohr und ihrer Wange waren nichts im Vergleich zu den klaffenden Wunden in ihrer Brust, deren zackige Ränder trotz der zunehmenden Dunkelheit deutlich zu sehen waren und aus denen unablässig frisches Blut strömte.
    Pasquale neigte sich zu dem Mädchen und umfasste es, um es aufzurichten. Piero begriff, dass daher das viele Blut auf Pasquales Hemdbrust stammte. Der Junge musste schon vorher versucht haben, dem Mädchen aufzuhelfen.
    »Ich habe ihn in die Flucht geschlagen!«, stieß Pasquale hervor. »Leider konnte ich ihn nicht überwältigen, ich hätte ihn gern für dich getötet! Es tut mir leid! Aber jetzt ist mein Meister da! Er wird dich in Sicherheit bringen!« Hilflos hob er den Kopf und sah Piero an. »Es war der Kerl mit der Maske. Er hat sie hierher geschleppt, ich hab’s gesehen und bin ihnen gefolgt. Als ich herkam, war’s schon passiert, er wischte sich gerade den Dolch an seinem Umhang ab.« Pasquales Stimme kam abgehackt. »Ich habe versucht, ihn zu stellen, aber er konnte entkommen.« Seine geballten Fäuste lockerten sich, als er auf die junge Frau niederschaute. »Sie ist sehr schwer verletzt. Es sind bestimmt drei Stiche, wenn nicht mehr, in die Brust und wohl auch in den Rücken.«
    Piero ging neben dem Mädchen in die Knie und nahm ihre Hand. Sie war eiskalt. Ihre Lider flatterten, während sie versuchte, seinen Blick zu erwidern. Sie sagte etwas in einer ihm unbekannten Sprache.
    »Wer hat dir das angetan, Mädchen?«, fragte er.
    Sie antwortete nicht, und er versuchte es mit einer anderen Frage. »Wo wohnst du?«
    Er hatte sofort erfasst, dass sie keines der zahlreichen Straßenmädchen war, die sich überall in der Stadt ihren Lebensunterhalt mit Prostitution verdienten. Ihre Kleidung war zwar voller Blut und Schmutz, doch er sah, dass sie kaum getragen und kostbar war, aus fein gewebter Seide und von maßgeschneiderter Passform. Ihre Schuhe, ebenfalls aus Seide und mit dünnen Sohlen, waren eher für das Innere eines Palazzo gedacht als für die Straße. Sie waren völlig zerrissen.
    Das Mädchen flüsterte einige Worte, und diesmal meinte Piero, etwas zu verstehen.
    »Heißt du so? Ist das dein Name?«
    Das Mädchen schüttelte schwach den Kopf. »Sanchia«, sagte sie.
    »Du heißt Sanchia?«
    Diesmal hatte er es getroffen. Sie gab ihm durch ein kaum merkliches Nicken zu verstehen, dass dies ihr Name war. Im nächsten Moment war ihre Unterhaltung, so kläglich deren Inhalt bisher auch gewesen sein mochte, beendet.
    Das Mädchen krampfte ihre Finger um Pieros Hand und gab ein urtümliches Stöhnen von sich, das tief aus ihrer Kehle aufstieg und nicht aufhören wollte. Das Geräusch brannte sich direkt in seine Seele.
    Wir müssen sie in ein Spital bringen, auf der Stelle!, dachte er. Doch an dem hechelnden Rhythmus, den ihr Atem angenommen hatte, erkannte er, dass es dafür zu spät war. Bei jedem Atemzug trat Blut auf ihre Lippen, und ihre Augen waren so weit aufgerissen, dass fast nur noch das Weiße darin zu sehen war.
    Piero widerstand nur mit Mühe dem Verlangen, aufzustehen und wegzurennen.
    »Diese Frau hat Wehen«, sagte Vittore hinter ihm. Der Ofenmeister war ihnen, wenn auch um einiges langsamer, bis hierher gefolgt. Er sprach das Offensichtliche aus. »Sie bekommt ein Kind, und zwar in diesem Moment.«
    Sie wusste, dass ihre Augen offen waren, trotzdem konnte sie nichts sehen außer ineinanderfließende Umrisse. Erst, als die Wehe allmählich abebbte, erkannte sie ihre Umgebung wieder genauer. Jemand hatte eine Fackel entzündet, die den Hof mit einem Wechselspiel aus unruhigem Licht und huschenden Schatten
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