Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Charlotte Thomas
Vom Netzwerk:
von ihm bereits hatte erdulden müssen.
    Davon abgesehen hätte er sich keinen ungünstigeren Tag für sein Vorhaben aussuchen können. Wer auf die Idee kam, am Giovedì grasso in Venedig seinen Alltagsgeschäften nachgehen zu wollen, musste verrückt sein.
    Zweifellos war er verrückt. Nicht nur, weil die Menschen in seiner Umgebung es häufig behaupteten – manche mit mehr, manche mit weniger Nachdruck –, sondern weil es ohne Frage von wenig Verstand zeugte, mitten im Karnevalstrubel Quecksilber kaufen zu wollen. Das Quecksilber hatte er bekommen, auch wenn er dafür den sturzbetrunkenen Händler aus der Gosse vor seinem Haus hatte klauben müssen. Aber dafür hatte er ganz offensichtlich seinen Lehrjungen im Getümmel des Karnevals verloren.
    Vittore, der neben ihm saß, kratzte sich geräuschvoll den Kopf und fluchte murmelnd etwas vor sich hin, von dem Piero die Worte gottverdammte Läuse zu verstehen glaubte.
    Vorsorglich rückte er ein Stück von Vittore ab und reckte sich, um nach Pasquale Ausschau zu halten. Innerlich gestattete er sich ebenfalls einen Fluch. Er musste wirklich den Verstand verloren haben, denn warum sonst hätte er es dem Jungen erlauben sollen, sich das Spektakel auf der Piazza anzusehen?
    »Wie lange dauert es wohl, bis zwölf Schweine vom Glockenturm gefallen sind?«, ließ sich Vittore vernehmen.
    Piero ersparte sich die Antwort, denn er hatte keinen Zweifel, dass die Frage nur ein Vorwand war, eine ebenso sinnlose wie langweilige Unterhaltung in Gang zu bringen.
    »Diese Art, Schweine umzubringen, ist eine verfluchte Verschwendung«, fuhr Vittore fort.
    Piero hob die Brauen. »Du weißt, was mit Gotteslästerern geschieht. Du solltest auf deine Zunge achten. Es sei denn, du brauchst sie nicht mehr.«
    Vittore achtete nicht auf den Einwurf. »Das Fleisch ist völlig verdorben, wenn sie auf diese Weise zu Tode kommen. Zäh und geschmacklos.«
    »Du musst es ja nicht essen.«
    Vittore überging auch das. »Mit dem Bullen ist das was anderes. Das Enthaupten ist eine saubere Sache. Das Fleisch soll sogar in der Küche des Dogen zubereitet werden, habe ich mir sagen lassen.«
    Piero blieb stumm. Er war nicht in der Stimmung, mit Vittore zu reden. Seinem Ofenmeister war offenbar daran gelegen, ihn auf andere Gedanken zu bringen, doch das änderte nichts an dem, was geschehen war.
    Am heutigen Tag von Murano hierher zu rudern war nichts weiter als eine feige Flucht, doch im Laufe des Tages war das Gefühl, auf der Insel zu ersticken, übermächtig geworden. Er hatte es ganz einfach nicht mehr ausgehalten.
    Die Art, wie Bianca versucht hatte, ihn aufzumuntern, war ihm beinahe grotesk erschienen. Sie war diejenige, die litt, und er musste von ihr aufgerichtet werden! Die Hand, mit der sie die seine ergriffen hatte, war viel zu kalt gewesen, und ihr Gesicht war so weiß, dass es sich kaum von den Laken des Bettes abhob. Dennoch hatte sie gelächelt. »Ich lebe noch«, hatte sie geflüstert. »Ich bleibe bei dir.«
    Später, als er wieder unten in der Werkstatt gewesen war, hatte er ihr hoffnungsloses Weinen gehört. Ihm war ebenfalls kalt geworden, eine Kälte, die sich von der Oberfläche seiner Haut bis ins Mark seiner Knochen hinein fortsetzte und auch von der Glut der Öfen nicht zu vertreiben war.
    »Es geht die Rede, dass das Zeremoniell abgeschafft werden soll«, sagte Vittore. »Weil es zu blutig ist für die empfindliche Damenwelt.« Er dachte kurz nach. »Wozu ist es überhaupt gut? Ich meine, warum machen sie das? Welchen Sinn hat es, Schweine vom Turm zu werfen? Wieso muss vor aller Welt ein solcher Haufen gutes Fleisch vergeudet werden?«
    Piero sagte kein Wort, sondern ergriff stattdessen das Ruder und hielt auf die Mole zu.
    »Was hast du vor?«, wollte Vittore wissen.
    »Dem Bengel eine Tracht Prügel zu verpassen.«
    »Die wird er vertragen können«, stimmte Vittore zu. »Der Bursche hat zu viele Flausen im Kopf. Du schlägst ihn zu selten.« Er räusperte sich. »Ja nun, eigentlich hast du ihn noch nie geschlagen. Meinst du wirklich, du bringst es diesmal fertig?« Hoffnungsvoll fügte er hinzu: »Wenn du es nicht kannst, mache ich es!«
    Piero gab ein unverständliches Brummen von sich, mit dem er das Thema für erledigt erklärte. Doch Vittore war nicht bereit, es dabei zu belassen.
    »Ein paar kräftige Hiebe hin und wieder können nicht schaden«, sagte er. »Ich musste auch viel einstecken, und es hat mir sehr geholfen, ein anständiger Geselle zu werden.« Vittore
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher