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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Charlotte Thomas
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hielt inne und stellte dann eine Frage, die ihm offenbar schon lange auf der Seele brannte. »Wieso schlägst du ihn nie?«
    Piero schwieg eine Weile. »Ich wurde geschlagen«, sagte er schließlich kurz.
    »Was meinst du damit?«
    »Ich wurde von meinem Meister geschlagen. Jahrelang. Jeden Tag. Einmal hat er mir einen Arm gebrochen. Einmal vier Rippen.«
    »O weh, das war ihm sicher unangenehm, so ein Versehen!«
    »Nein.« Piero hielt mit dem Rudern inne und wandte sich zu Vittore um. »Er liebte es, andere zu schlagen. Mein Arm war kaum verheilt, als er mich wieder prügelte, diesmal mit einem Schüreisen. Er traf mich überall. In meinem Kopf war ein Loch, in das man einen Finger stecken konnte.« Er atmete kurz aus, dann setzte er bedächtig hinzu: »Ich bin fast gestorben. Drei Wochen dauerte es, bis ich wieder aufstehen und gehen konnte. Ich konnte lange Zeit nicht richtig sprechen.«
    Vittore schluckte entsetzt. »Was hast du getan, um diese Prügel zu verdienen?«
    Piero unterdrückte den kurzen, aber heftigen Impuls, seinen Ofenmeister aus dem Boot zu stoßen. Er rieb sich über die Narbe oberhalb seines rechten Auges. Das alles war lange genug her, um nicht allzu oft daran denken zu müssen.
    Gleichmütig meinte er: »Der alte Mistkerl hat sich irgendwann im Suff eine Ladung Glasschmelze über den fetten Wanst geschüttet. Seine Witwe hat mir die Werkstatt überlassen, und alle waren zufrieden. So darf ich ihm wohl letztlich noch dankbar sein.«
    Er legte sich in die Riemen und tat einige Ruderschläge, dann ließ er den Sàndolo treiben, bis er dicht neben einem Fischerboot an die Kaimauer stieß.
    Gleich darauf merkte er, dass er sich einen besseren Anlegeplatz hätte suchen sollen, denn auf diesem Boot befanden sich mehrere Körbe, aus denen es so erbarmungswürdig nach faulendem Fisch stank, dass Vittores ständiges Rülpsen in ein angeekeltes Würgen überging.
    Oben auf der Piazza tobte der Karneval. Geschrei und Gelächter schallten über die weite Fläche und in die Lagune hinaus, untermalt vom inzwischen sehr unmelodiösen Lärm der Instrumente. Vermutlich hatten die Musiker ebenso wie alle anderen Besucher der Piazza mittlerweile reichlich dem Branntwein zugesprochen.
    Aberwitzig kostümierte Gestalten schwankten am Rande der Menge. Direkt vor der Mole fiel eine Frau mit einer Tiermaske und nackten Brüsten auf die Knie und übergab sich. Hinter ihr bückte sich ein Mann und umfasste ihre Hüften. Er raffte ihr die Röcke über den Hintern hoch und fummelte gleichzeitig ungeschickt an der Verschnürung seines Suspensoriums herum. Die Frau wischte sich den Mund ab und gab ein Grunzen von sich. Der Mann stieß seinen Unterleib nach vorn, und das Grunzen ging in begeistertes Kichern über.
    »Da drüben ist er!«, rief Vittore aus.
    Piero löste seine Blicke von dem Schauspiel oben am Kai und schaute in die Richtung, in die Vittore mit ausgestrecktem Arm deutete. Am Fuß der Brücke über den Rio di Palazzo stand eine vertraute Gestalt. Im Licht der Fackeln erkannte Piero das lausbubenhafte Gesicht, das so gar nicht zu dem lang aufgeschossenen Körper passen wollte.
    »Er hat seine Kappe verloren«, stellte Vittore fest, während er sich aufrichtete, um besser für Pasquale sichtbar zu werden. »Komm hier rüber, Junge!«, brüllte er. »Hier sind wir!«
    »Ich glaube nicht, dass er uns hört«, meinte Piero. »Er unterhält sich.«
    Besorgnis machte sich in ihm breit, denn das, was er auf den ersten Blick für eine Unterhaltung gehalten hatte, schien eher eine handfeste Auseinandersetzung zu sein: In eben diesem Moment spie der Junge dem Mann, der ihm gegenüberstand, ins Gesicht.
    Instinktiv erhob sich Piero von der Ruderbank und machte sich bereit, an Land zu springen.
    Der maskierte Fremde war vielleicht eine Handbreit kleiner als der Lehrjunge, aber um einiges kräftiger gebaut.
    Dessen ungeachtet ging der Junge auf ihn los wie ein gereizter Löwe. Piero hatte vor Jahren auf einem Kirchplatz von Santa Croce einmal erlebt, wie ein solches Tier von Schaustellern mit angespitzten Stangen wild gemacht worden war. Sein Gebrüll und seine Sprünge gegen die Käfigstangen hatten den ganzen Campo zum Erzittern gebracht.
    Pasquales Wutausbruch hätte dem Löwen zur Ehre gereicht. Sein Schreien war sogar über den Radau auf dem Markusplatz deutlich zu hören. Er drosch mit den Fäusten auf den Fremden ein, dessen Versuche, sich zu wehren, eher halbherzig ausfielen.
    Pasquale brachte unterdessen seine
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