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Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Madonna von Murano: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Charlotte Thomas
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unschuldigen armen Teufel aufgeknüpft, nur weil er zufällig gerade greifbar war und als einziger Zeuge von einer Mordtat zu berichten wusste. Spätestens morgen früh würde sie ohnehin gefunden werden.
    Nichts würde das Mädchen wieder lebendig machen, aber er konnte dafür sorgen, dass ihr Kind in Sicherheit gebracht wurde.
    Er hatte vorgehabt, für dieses Unterfangen einem der überall herumtorkelnden Zecher eine Maske abzukaufen, doch als sie in die nächste Salizada einbogen, sahen sie eine auf dem Pflaster liegen. Der Besitzer lag in trunkener Besinnungslosigkeit daneben und hatte offensichtlich keinen Bedarf mehr an der Maske.
    Piero hob sie auf und ließ Pasquale das Neugeborene halten, während er sie anlegte. Das Kind hatte aufgehört zu schreien, dennoch machte Pasquale ein jämmerliches Gesicht, als er das Bündel entgegennahm. Er hielt es wie ein rohes Ei, das jeden Augenblick zerbrechen konnte.
    »Ihr wartet hier«, ordnete Piero an, während er zur Pforte der nächstgelegenen Kirche ging. Auf sein Klopfen öffnete jedoch niemand, und als er versuchte, die Tür aufzustoßen, stellte er fest, dass sie verschlossen war. Auch bei der nächsten Kirche hatten sie kein Glück.
    »Mir tun die Füße weh«, beklagte sich Vittore. »Wozu laufen wir hier herum und suchen Kirchen? Meinst du vielleicht, auch nur ein einziger Priester hat Lust, mitten in der Nacht durch die Gassen zu irren und eine Tote aufzulesen? Oder sich um einen brüllenden Säugling ohne Mutter zu kümmern? Wir sollten das Kind einfach vor die nächste Pforte legen und zusehen, dass wir zurück nach Murano kommen.« Er dachte kurz nach. »Aber vorher will ich mein Wams wiederhaben.«
    »Wir sollten zu einem Nonnenkloster gehen«, meldete sich Pasquale zu Wort. »Nonnen sind Dienerinnen des Herrn und mildtätig.« Er trottete vor Piero und Vittore her und machte einen niedergeschlagenen, erschöpften Eindruck. Die Fackel, die er trug, war fast niedergebrannt, und sein Gesicht unter dem wirren Haarschopf war unnatürlich bleich.
    »Und sie sind Frauenzimmer«, fügte Vittore hinzu. »Die verstehen sich auf das hier.«
    Bei das hier deutete er auf das Neugeborene, das vor einer Weile wieder angefangen hatte zu schreien und damit ihrer aller Nerven auf eine harte Probe stellte.
    Piero fand ausnahmsweise, dass beide Recht hatten, wenngleich bei der anschließenden Suche nach einem Kloster eine unbestimmte Enttäuschung von ihm Besitz ergriff. Das Kind in seinen Armen hatte die Augen geöffnet, und ihm war sogar, als würde es ihn ansehen. Doch vermutlich war das Unfug, denn es hieß allgemein, dass neugeborene Kinder ebenso wenig sehen konnten wie neugeborene Kätzchen.
    »Hier ist es. Glaube ich.« Vittore trat vor und nahm die Pforte des Gebäudes näher in Augenschein. Er war in diesem Viertel aufgewachsen und kannte sich hier aus wie kein Zweiter. Jedenfalls hatte er das mehr als einmal behauptet, obwohl sich die von ihm angekündigten Kirchen stets auf wundersame Weise in Luft aufgelöst hatten. Seine Flüche, mit denen er angebliche Feuersbrünste oder größenwahnsinnige Stadtplaner verwünschte, wurden bei jeder Abzweigung lauter.
    Doch diesmal hatte er sie an die richtige Stelle geführt, denn die geschnitzte Tafel, die in Kopfhöhe des großen Holztores an der Landseite des Hauses angebracht war, zeigte in ihrer Inschrift den Namen des Ordens. Es handelte sich um ein Kloster der Benediktinerinnen.
    Das Kind schrie jetzt lauter, und Piero verspürte das plötzliche und sinnlose Bedürfnis, es fest an sich zu pressen und fortzulaufen. Er wusste nicht, ob er es nicht tatsächlich getan hätte, wenn das Kind nicht im nächsten Augenblick aufgehört hätte zu schreien. Es hatte die winzige Faust in den Mund geschoben und nuckelte daran herum. Ganz offensichtlich hatte es Hunger.
    In seiner Ungeduld dachte er nicht daran, die Maske wieder überzustreifen, die er sich vorhin in die Tasche seines Wamses gestopft hatte. Er klopfte hart an das Tor, und diesmal wurde ihm zu seiner Überraschung sofort aufgetan. Eine kleinere Tür in der Pforte öffnete sich, und ein ausgelassenes Kichern durchdrang die Nacht. Die Flammen der rußenden Fackel warfen Lichtzungen gegen das Tor und erleuchteten eine Männergestalt, die auf die Gasse hinaustrat, den Arm um eine Frau gelegt. Als er ihr etwas ins Ohr flüsterte, gab sie abermals ein Kichern von sich, woraufhin der Mann seine Hand in den Ausschnitt ihres Nonnengewandes schob und sie mit der anderen an
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