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Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Titel: Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
Autoren: DeVa Gantt
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konnte sie sich wieder auf etwas freuen.
    Montag, 4. Dezember 1837
    Mit unverhohlener Begeisterung genossen die Zwillinge ihren ersten Ausflug an Bord eines Seglers. Unter Pauls Aufsicht bedienten sie abwechselnd das Ruder, oder sie standen mit ausgebreiteten Armen ganz vorn am Bug und ließen ihre Röcke und ihre blonden Locken im Wind flattern. Jedes Mal, wenn das Schiff in ein tieferes Wellental abtauchte und Gischt über das Deck sprühte, quietschten sie vor Begeisterung.
    Sie erreichten die Insel am späten Nachmittag und begaben sich auf direktem Weg ins neue Haus, in dem vor ihnen nur Frederic und Agatha übernachtet hatten. Es war ein prachtvolles, ein makelloses Haus aus edelsten Materialen. In den großen Räumen im Erdgeschoss fehlten zwar noch einige Möbel, dafür waren die meisten Schlafzimmer im oberen Stockwerk bereits fertig eingerichtet und warteten auf die Gäste, die im Frühling hier wohnen sollten. Paul brachte sie nach oben. Die Zwillinge teilten sich ein Zimmer, und Charmaine und Rose bekamen jede ein eigenes. Unter anderem besichtigten sie auch das Zimmer des Hausherrn, das größer war als die gesamte Wohnung, in der Charmaine aufgewachsen war. Ohne jede Absicht malte sie sich das Leben der zukünftigen Hausherrin aus und sah sich für Sekunden selbst in dieser Rolle. Noch im selben Moment wischte sie ihre Phantasie beiseite. Als Gouvernante genoss sie Vorrechte und Annehmlichkeiten, von denen sie früher nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Ob sie in ihr bescheidenes Leben zurückfinden würde, falls das einmal nötig wäre? Besser, sie verlor die Wirklichkeit nie aus dem Blick.
    Millie Thornfield richtete sich in der Küche ein und servierte ihnen später am Abend ein einfaches Mahl. Danach begaben sich alle in den Wohnraum. Rose kramte ihr Strickzeug hervor, und Paul und Charmaine spielten mit den Zwillingen Karten. Außerdem hatten sie noch ein Schachspiel und Würfel mitgebracht. Als Jeannette irgendwann die Lust verlor, ging sie zu Rose und bat sie, ihr das Stricken beizubringen. Die alte Kinderfrau zauberte ein zweites Paar Stricknadeln und Wolle aus dem Beutel hervor und erklärte Jeannette die ersten Schritte. Die Kleine lernte schnell, und schon nach wenigen Reihen ließ sie Charmaine ihr Werk bewundern.
    »Ausgezeichnet! Du scheinst begabt zu sein!«
    Eifersüchtig rief Yvette, dass sie das genauso gut könne, und als Paul meinte, dass sie doch kein Hausmütterchen sei, verlangte sie sofort, dass ihre Schwester das neue Wissen mit ihr teilte.
    Paul sah zu Rose hinüber. »Ich muss Ihren Fleiß ehrlich bewundern, Nan. Was machen Sie eigentlich mit all den Sachen, die Sie Abend für Abend stricken? Auf Charmantes braucht die doch niemand.«
    »Ich schicke sie meinen Verwandten in die Staaten. Als Spende für die Armen.«
    Wie Paul nicht anders erwartet hatte, erlahmte Yvettes Interesse schnell.
    »Was soll das eigentlich werden, Jeannette?«, fragte er.
    »Keine Ahnung. Was stricke ich denn, Nana Rose?«
    »Einen Schal natürlich.«
    »Aber den brauchst du doch nicht!«, rief Yvette.
    »Das stimmt«, antwortete Jeannette. »Aber ich kann ihn Johnny zu Weihnachten schenken!«
    »Das ist eine gute Idee.« Rose lächelte. »Wenn du am Ende angekommen bist, zeige ich dir noch, wie man die Initialen strickt.«
    Jeannette nickte eifrig.
    »Aber du musst Johnny sagen, dass ich dir dabei geholfen habe!«, rief Yvette.
    Schmunzelnd betrachtete Charmaine die viel zu lockeren, unregelmäßigen Maschen. »Das sieht er auf den ersten Blick.«
    Freitag, 8. Dezember 1837
    Das Wetter war prächtig, und die Woche auf Espoir verging wie im Flug. Morgens widmeten sich Charmaine und die Zwillinge ihren Lektionen. Nach dem Mittagessen gesellte sich Paul zu ihnen, und sie ritten gemeinsam über die Insel. Auf manchen Feldern stand das Zuckerrohr schon hoch, während es auf anderen gerade gepflanzt wurde. An einem Nachmittag ritten sie über frisch gerodete Flächen, wo die Zwillinge mit besonderem Spaß den tiefen Gräben folgten, die die einzelnen Flächen umschlossen und miteinander verbanden.
    Am letzten Tag schlug das Wetter um. In der Nacht war leichter Regen gefallen, und morgens frischte es merklich auf. Nach dem Dinner begaben sich alle in den Wohnraum. Paul machte Feuer, und die Mädchen ließen sich mit Buch und Strickzeug auf dem Sofa vor dem Kamin nieder. Es dauerte nicht lange, und sie schliefen tief und fest. Paul trug die Mädchen eine nach der anderen nach oben, und Charmaine legte
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