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Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Titel: Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
Autoren: DeVa Gantt
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Duvoisins das Licht der Welt erblickt hatte, war er fast immer Sklave gewesen. Genau genommen bis zu dem Tag, an dem John Duvoisin das Papier unterzeichnet hatte, das ihm die Freiheit schenkte. Da er keinen Nachnamen besaß, schlug John vor, einfach Duvoisin in die Urkunde einzusetzen. Brian war einverstanden. Anschließend hatte John ihm grinsend die Hand geschüttelt und ihn »Bruder« genannt.
    In der ersten Zeit fragte sich Brian zwar manchmal, was John zu diesem Entschluss bewogen hatte, doch er blieb auch weiterhin auf der Plantage. Im Grunde hatte er keine andere Wahl, denn wohin hätte ein armer ungebildeter Schwarzer im Süden schon gehen können?
    In dieser Woche entließ John noch viele Männer, Frauen und Kinder in die Freiheit, sodass die erbosten Nachbarn seiner Plantage kurzerhand den Beinamen »Freedom« verpassten. Als Antwort prangte keinen Monat später ein kunstvoll geschnitztes Schild mit ebendiesem Namen über der Zufahrt.
    Im Laufe der Zeit schätzte John die Fähigkeiten seines früheren Sklaven von Monat zu Monat mehr und übertrug dem Mann mit jeder Pflanzsaison größere Verantwortung. Da auch die Feldarbeiter Brian respektierten, konnte er sich keinen Besseren denken, um während seiner Abwesenheit für einen reibungslosen Betrieb auf der Plantage zu sorgen. Dafür war Brian genau der richtige Mann.
    Als John kurz darauf die Nachbarplantage Wisteria Hill erwarb und die dort lebenden Sklaven in die Freiheit entließ, war auch Brians Frau darunter. Damals überlegte Brian lange. Zum ersten Mal hatte er Gelegenheit, Virginia den Rücken zu kehren. Neben der Knochenarbeit auf den Feldern hatte er sich auch noch andere Fähigkeiten erarbeitet. Er hätte also mit Nettie in den Norden gehen und ihnen dort ein Dach über dem Kopf schaffen können. Warum er es nicht tat, konnte er nicht wirklich sagen, aber dass John sich auf ihn verließ, bedeutete ihm sehr viel.
    So kam es, dass Brian Duvoisin zum ersten und einzigen schwarzen Aufseher im County avancierte, was Johns Nachbarn von Beginn an ein Dorn im Auge war. Sie lehnten es kategorisch ab, für Sklavenarbeit zu zahlen. Aber John widerstand ihrem Druck, ja, dieser bestärkte ihn eher noch in seiner Überzeugung. Dieser Beharrlichkeit verdankte er Brians unbedingte Loyalität, und heute, nach vier Jahren, waren die beiden Männer Freunde geworden.
    Stuart Simons dagegen war weiß. Er war zwar im Süden zur Welt gekommen und aufgewachsen, aber dank seiner Erziehung sympathisierte er eher mit dem Norden. Als überzeugte Quäker hatten die Eltern ihrem Sohn einen ausgeprägten Sinn für Gut und Böse mit auf den Weg gegeben, und es hatte Stuarts Suche nach Arbeit nicht gerade erleichtert, dass er den Grundsätzen des Südens kritisch gegenüberstand … bis zu seiner Begegnung mit John. Inzwischen war Stuart Simons als Verwalter für die Produktion auf Freedom verantwortlich.
    John wusste, dass Brian auf den Beistand eines weißen Mannes würde zählen müssen, sobald er die Plantage für eine längere Reise nach Richmond oder New York verlassen musste. Um die Nachbarn von Überfällen auf seinen schwarzen Aufseher abzuhalten, bestellte er Stuart Simons zu seinem Stellvertreter. Das sollte sich als kluger Schachzug erweisen. Während seiner ersten Abwesenheit erfolgte prompt der erste Zwischenfall, der sich jedoch augenblicklich erledigte, als Stuart Simons auf der Bildfläche erschien und die verdutzten »Besucher« begrüßte.
    Da Stuart Simons ein umgänglicher Mensch war und Brians Stellung respektierte, freundeten sich die beiden Männer schnell miteinander an. Stuart lernte, was es über den Tabakanbau zu wissen gab, nachdem er sich schon im Herbst zuvor im Hafen von Richmond die nötigen Kenntnisse über das Be- und Entladen der Handelssegler angeeignet hatte. In diesem Jahr nun hatte sich John im Sommer und im Herbst, bedingt durch seinen langen Aufenthalt auf Charmantes, ganz auf das Können der beiden Männer verlassen müssen. Doch er wusste die Plantagen in guten Händen, sodass die Ernte seine geringste Sorge darstellte.
    An diesem Abend nun saßen die beiden Männer zusammen am Küchentisch und diskutierten den Ertrag der diesjährigen Ernte. Die Preise für Baumwolle waren um die Hälfte gesunken, was John sicher nicht gefiel, auch wenn auf Freedom keine Baumwolle angebaut wurde. Doch die New Yorker Händler würden sich als Folge des Preisverfalls in Zurückhaltung üben. Wenn man den Zeitungsberichten glauben konnte, hatte der
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