Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Die Macht der verlorenen Zeit: Roman

Titel: Die Macht der verlorenen Zeit: Roman
Autoren: DeVa Gantt
Vom Netzwerk:
Irgendwann erschien John, und kurz darauf kam auch Frederic zu Tisch. Beide lächelten Charmaine zu, die sich fragte, wo die beiden so lange gesteckt hatten. Nun waren alle zwölf Stühle besetzt. John und Frederic wurden schnell in die Gespräche einbezogen und unterhielten sich auch öfter quer über den Tisch miteinander. Charmaine lehnte sich behaglich zurück und freute sich an dem munteren Familienleben.
    Wie oft hatte sie sich in ihrem Elternhaus beim Dinner vor ihrem Vater gefürchtet! Sogar als sie schon bei den Harringtons lebte, hatte sie sich immer eine eigene Familie gewünscht. Jetzt endlich war ihr Wunsch in Erfüllung gegangen. Wie ein nicht enden wollendes Fest. Plötzlich spürte sie die Anwesenheit ihrer Mutter ganz deutlich. Sie senkte den Kopf und dankte Gott. Nach langer Zeit waren endlich Liebe und Frieden unter diesem Dach eingekehrt.
    Nach dem Essen begaben sich alle in den Wohnraum. Da John nach der Zeremonie in der Kapelle geruht hatte, bestand er darauf, sich der Familie anzuschließen. Man brachte weitere Stühle aus dem Arbeitszimmer herbei, und Michael setzte sich neben John auf die Klavierbank.
    »Dieses Pianoforte sieht genauso aus wie das in New York«, bemerkte der Priester.
    »Es ist auch das gleiche Instrument«, sagte John. »Sie wurden vor fünf Jahren bei Bridgeland and Jardin gebaut. Vielleicht haben Sie davon gehört?«
    Als Michael den Kopf schüttelte, fuhr John fort: »Der Klang dieses Pianos ist kraftvoll und klar. Die Verbesserung gegenüber den Instrumenten, wie sie vor zehn Jahren gebaut wurden, liegt in der Art der Bespannung. Ich war damals bei der Vorführung sehr beeindruckt und habe auf der Stelle vier Instrumente gekauft, nachdem ich darauf gespielt hatte.«
    » Vier? « Michael konnte es nicht glauben. »Sie haben vier Instrumente gekauft?«
    John lachte in sich hinein. »Genau. Eines steht in New York, das andere in Richmond, das dritte auf der Plantage und das vierte habe ich hierhergeschickt. Es war kein einfacher Transport, aber es war die Mühe wert, als ich hier ankam. Ich dachte, dass meine Schwestern Spaß daran hätten, und dank Charmaine haben sie das auch.«
    Jetzt mischte sich auch Frederic in die Unterhaltung. »John spielt ausgezeichnet, müssen Sie wissen. Auf diesem Gebiet hat er an der Universität am besten abgeschnitten.«
    »Ich habe ihn in Richmond öfter spielen hören«, bestätigte Michael, »aber leider hat ihn meine Anwesenheit immer unterbrochen.«
    »Dann kann er uns vielleicht jetzt etwas vorspielen«, sagte Frederic und sah seinen Sohn voller Stolz an. »Das heißt, falls es dir gut genug geht?«
    Yvette und Jeannette waren sofort Feuer und Flamme. »O ja, Johnny, bitte! Früher hast du uns oft etwas vorgespielt. Bitte!«
    »Was würdet ihr denn gern hören?«
    »Irgendetwas.«
    »Etwas Besonderes!«
    »Warum spielst du nicht das Stück, das du komponiert hast?«, schlug Frederic vor.
    Johns Blick suchte Charmaine, aber sie unterhielt sich gerade mit den Harringtons.
    »Ich … ich glaube nicht, dass ich das kann.« Er zögerte.
    Frederic wusste, was in John vorging. »Ich würde das Stück wirklich gern hören«, versicherte er.
    John überlegte einige Augenblicke, dann war er einverstanden. Father Michael suchte sich einen Stuhl, und Yvette setzte sich auf Frederics Schoß. Jeannette zog George und Mercedes an den Händen herbei und setzte sich dann neben ihren Vater. Frederic tätschelte ihren Kopf, während John sein Spiel begann.
    Als der erste Akkord durch den Raum hallte, verstummte jedes Gespräch, und die Augen aller wandten sich dem Pianisten zu. Auf vertrauten Pfaden glitten Johns Finger über die Tasten und erweckten die melancholische Rhapsodie zu neuem Leben. Er legte seine ganze Seele in das Spiel, ließ die Töne in schneller Folge zur Fuge emporwachsen, bis sie dissonant und erschöpft und ohne Hoffnung in Kadenzen voll bittersüßer Sehnsucht abwärtstaumelten. Doch aus der Verzweiflung wuchs eine süße Melodie empor, spannte sich als Bogen von der Finsternis zum Licht, verwob die Harmonien wie Fäden zu einem hallenden Crescendo und endete in einem einzigen triumphalen Akkord.
    Irgendjemand begann zu klatschen. John hob den Kopf und drehte sich langsam zu den anderen um. Seine Augen suchten Charmaine, die ihn sprachlos anstarrte. Er zwinkerte ihr zu. Es war vollbracht: Er hatte das Ende seiner Komposition gefunden.
    »Ich wusste gar nicht, dass du das geschrieben hast!«, sagte Yvette staunend.
    Charmaine war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher