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Die Macht der Steine

Die Macht der Steine

Titel: Die Macht der Steine
Autoren: Greg Bear
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schienen: Drehkreisel, grasende Tausendfüßler, Wesen mit Büschen auf dem Rücken, Schüsseln, die wie Hunde aussahen, jedoch Wasser transportierten – groteske, fragmentarische Vexierbilder.
    Am Ende des Tages hatten sie die Außenbezirke von Mandala erreicht. Jeshua ließ sich auf einem Stein nieder und betrachtete die Stadt. »Sie ist anders«, resümierte er, »nicht so ästhetisch.« Mandala war kompakter, weniger großzügig und organisch angelegt. Ihre Architektur in der Form einer Stufenpyramide wirkte unansehnlich. Die sich an ihren Mauern und Lichtbannern brechenden Farben – schwarz und orange – harmonierten kaum mit den pastellartigen Blau- und Grüntönen der Substanz der Stadt.
    »Sie ist älter«, sagte Thinner. »Eine der ersten, glaube ich. Sie ist wie ein alter Baum, schon spröde, nicht so elastisch wie ein junger Trieb.«
    Jeshua befestigte den Knüppel fester am Gürtel und beschirmte die Augen vor der Sonne. Die Jugend von Ibreem war soweit in der Städteplanung unterwiesen worden, daß sie alle Teile und Funktionen identifizieren konnte. Die lichtabsorbierenden Banner, die in der Nähe von Mandalas Scheitelpunkt flatterten, wirkten gleichermaßen wie das Laub eines Baumes und wie Flaggen. Strukturen auf ihrer Oberfläche stellten eine Sprache dar, welche den Daseinszweck und das religiöse Credo der Stadt signalisierten. Silbrige Reflektoren warfen Schatten unterhalb der Banner. Als er die Augen zusammenkniff, konnte er die Gärten, Springbrunnen und kristallinen Freizeitgebäude auf der obersten Promenade erkennen, eine Meile über ihnen. Sonnenlicht erhellte die grünen Mauern und zeigte ihre gesprenkelten Innereien, durchstach die libellenartigen Stützpfeiler, deren langsamer Flügelschlag die Luft zirkulieren ließ, kroch durch die Hallen, Lichtquellen und Wohnbezirke und ließ ganz Mandala in einem indirekten Licht erstrahlen. Trotz der orangefarben und schwarz getönten Mauern strahlte die Stadt eine innere Schönheit aus, die in Jeshua ein schmerzliches Gefühl der Sehnsucht weckte.
    »Wie kommen wir hinein?« fragte er.
    »Durch einen Tunnel, ungefähr eine Meile von hier.«
    »Du hast ein Mädchen erwähnt. War sie Teil deiner Tarnung?«
    »Nein. Sie ist hier. Ich bin ihr begegnet. Sie hat Stadtrecht. Ich glaube nicht, daß sie sich über allzuviel bekümmern muß, es sei denn über Einsamkeit.« Er sah Jeshua mit einem untypisch ironischen Grinsen an. »Zumindest muß sie sich keine Gedanken darüber machen, wo sie die nächste Mahlzeit hernehmen soll.«
    »Wie ist sie denn hineingekommen? Weshalb wird sie überhaupt von der Stadt geduldet?«
    »Wer kann sich schon in die Gedanken einer Stadt hineinversetzen?«
    Jeshua nickte nachdenklich. »Laß uns gehen.«
    Thinners Grinsen gefror. Er versteifte sich und blickte über Jeshuas Schulter. Jeshua schaute sich um und lockerte verstohlen den Knüppel am Gürtel. »Was ist?« fragte er.
    »Die Stadt-Jäger. Normalerweise halten sie sich bedeckt. Irgend etwas muß sie heute aufgescheucht haben.«
    Zwanzig Männer in grellen orangefarbenen und schwarzen Lumpen näherten sich ihnen in schnellem Lauf durch das Gras. Jeshua ortete eine zweite Gruppe, die von der anderen Seite der Stadt anrückte. »Wir werden uns ihnen stellen müssen«, erkannte er. »Wir können ihnen nicht entkommen.«
    Thinner wirkte beunruhigt. »Freund«, meinte er. »Es ist an der Zeit, daß ich eine weitere List anwende. Wir können in die Stadt gelangen, sie indessen nicht.«
    Jeshua ignorierte das non sequitur. »Halte mir den Rücken frei«, sagte er. Jeshua schwang den Knüppel und nahm Kampfstellung ein, fletschte die Zähne und duckte sich, wie sein Vater es ihn gelehrt hatte, wenn er einem wilden Tier gegenüberstand. Der Bluff war entscheidend, besonders, wenn er noch seine Statur in die Waagschale warf. Thinner tänzelte für eine Sekunde auf seinen O-Beinen, wobei sich Panik in seinem Gesicht widerspiegelte. »Mir nach, oder sie werden uns töten«, sagte er.
    Er hetzte in Richtung des glasierten Gartens an der Peripherie. Als Jeshua sich umdrehte, sah er, daß die Polis-Jäger sich zu einem Kreis formierten und ihn mit wurfbereiten Speeren aufs Korn nahmen. Er warf sich flach zu Boden, und die mit Metallspitzen armierten Spieße flogen über ihn hinweg und landeten im Gras. Er erhob sich, woraufhin ein zweiter Speer an ihm vorbeizischte und ihn schmerzhaft an der Schulter streifte. Er hörte, wie Thinner schnarrend fluchte. Ein Jäger hatte ihn
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