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Die Lutherverschwörung

Die Lutherverschwörung

Titel: Die Lutherverschwörung
Autoren: Christoph Born
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ein Stück weiter zu laufen. Und noch ein Stück, und noch eins …
    Endlich erreichte er das Tier, band mit zittrigen Fingern die Zügel los, schwang sich in den Sattel und trat dem Pferd in die Flanken. Als er lospreschte, warf er einen letzten Blick über die Schulter und erkannte den Söldner, nur wenige Schritte entfernt. Jost stand da, nach Atem ringend, die Faust geballt. Der Abstand zwischen ihnen vergrößerte sich rasch.
    Wulf war zu aufgewühlt, um seinen Triumph zu genießen. Noch war er nicht in Sicherheit, das wusste er, aber das nächste Stadttor lag nicht weit weg. Von dort kannte er den Weg nach Ostia, sodass er die Nacht durchreiten konnte. Am nächsten Morgen würde er, mit ein wenig Glück, in der Hafenstadt ein Schiff finden, das ihn ein Stück Richtung Norden mitnahm.

ERSTER TEIL

KAPITEL 1
    Wittenberg, im Februar 1521
    Als Anna vom Tod ihres Mannes Berthold erfuhr, war sie zuerst wie betäubt gewesen. Sie hatte eine Starre verspürt, die sich in Schmerz verwandelte, in Trauer – und schließlich in Wut. Wenn sie nachts wach lag, wenn die Erinnerungen sie quälten, die Bilder sie nicht losließen, dann haderte sie mit Gott und ihrem Schicksal.
    Wie sollte es mit ihr und der kleinen Martha jetzt weitergehen? Ihre Tochter war erst sieben Jahre alt. Wovon sollten sie beide leben? Mussten sie nun betteln gehen? Würden sie aus dem Cranachhof fortgeschickt werden? Anna hatte diesen Gedanken immer wieder beiseitegeschoben. Aber auch eine gut situierte Familie wie die Cranachs konnte auf Dauer sicher nicht zwei Menschen beherbergen, die Kosten verursachten und nichts einbrachten.
    Und jetzt hatte der Meister sie rufen lassen, um mit ihr das Gespräch zu führen, vor dem sie sich seit Tagen ängstigte. Ein Gespräch, dessen Ausgang sie schon zu kennen glaubte. Dabei galt Lucas Cranach in Wittenberg als reicher Mann, auch wenn er sich selbst nie so bezeichnen würde. Er sagte manchmal schmunzelnd, er sei »derzeit nicht vom Hunger bedroht«. Manche hielten solche Aussagen für eine Form von Hochmut – aber er meinte es ernst.
    Cranachs Lebensgeschichte hatte Anna oft genug von ihm selbst gehört. Er war vor mehr als fünfzehn Jahren vom sächsischen Kurfürsten Friedrich zum Hofmaler ernannt worden, doch sein Ruf hatte sich weit über die Grenzen der kleinen Residenzstadt hinaus verbreitet. Es entsprach seinem Rang und seinem Ansehen, dass er, sieben Jahre im Amt, die Tochter eines Bürgermeisters heiratete: Seine Frau Barbara, eine geborene Brengebier, stammte aus Gotha. Vor kurzem hatte Lucas für sich, seine Frau und seine Kinder einen großen, nahe beim Wittenberger Schloss gelegenen Hof erworben, in dem sich auch die Malerwerkstatt befand. Die Zahl seiner Gesellen schwankte. Wenn er gerade viele Aufträge hatte, waren es neun, in mageren Zeiten beschäftigte er nur drei.
    Zu Cranachs weitläufigem Hof gehörten auch eine Apotheke und eine Druckerei. Er war als Künstler und Geschäftsmann gleichermaßen erfolgreich. Die Gesellen und ihre Familien wohnten mit im Hof; und so hatten sich auch Berthold, Anna und Martha eine Kammer geteilt.
    Es war ein kalter Februarvormittag. Der Rauch aus den Wittenberger Schornsteinen wurde vom schräg einfallenden Wind durch die Gassen getrieben; in der Ferne durchbrachen schrille, lachende Kinderstimmen die Stille. Anna fröstelte, als sie die Werkstatt betrat, aus der ihr der vertraute Geruch von Ölfarbe entgegenschlug. Die Hälfte des Raums lag im Dunkeln, die andere fing durch große Fenster aus einem fast wolkenlosen Himmel kaltes Licht ein. Außer Cranach waren noch vier Gesellen anwesend; zwei von ihnen mischten kostbare Farben, Ultramarinblau und Zinnoberrot, wie Anna im Vorbeigehen sah, und unterhielten sich leise. Die beiden anderen trugen den Hintergrund zu einem großformatigen Gemälde auf, das dem Sonnenlicht zugekehrt war: Das Urteil des Paris. Drei nackte Frauenfiguren zeichneten sich andeutungsweise darauf ab. Der Meister selbst würde, wie Anna wusste, später das Gesicht, die Augen und die zarten, hauchdünnen Schleier malen, die die Nacktheit mehr betonten als verdeckten.
    Cranach fasste Anna am Arm und zog sie ein wenig abseits in den Teil des Raums, der im Halbdunkel lag. Seine Stimme klang, als habe er einen Kloß im Hals. Wie Anna wisse, habe er Berthold sehr geschätzt. Es sei auch für ihn ein furchtbarer Schlag, dass er nicht mehr unter ihnen sei.
    Anna betrachtete seine trockenen Lippen, die sich im mächtigen Bart bewegten, und es
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