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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen
Autoren: Cassandra Negra
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nicht, denn die gesamte Entwicklung in Kellers Karriere als Mörder lässt sich als Versuch erklären, es seiner Mutter heimzuzahlen. Als er sich schließlich dazu bringen konnte, diesen letzten Akt zu vollziehen, hatte das Drama ein Ende. Ich möchte Sie dafür sensibilisieren, hinter die Fassade zu blicken, auch wenn die Umstände, die zu einer Tat geführt haben, letztlich den Täter nicht seiner Verantwortung entheben können.«
    Mit dieser Fallanalyse hatte sie verstanden, dass es immer eine Antwort auf die Frage nach dem »Warum« gab, wenn man sie nur stellte und den Killer nicht einfach als »Monster« abstempelte und ihn für krank erklärte. Und man musste sich in seine Psyche hineinversetzen können.
    Lea wollte diese Antworten suchen und Erklärungen finden. Trotz allem, was sie erlebt und während ihres Studiums erfahren hatte, war sie doch immer noch eine hoffnungslose Idealistin: Sie wollte Menschen helfen, sie beschützen und bewahren vor all dem Bösen in dieser Welt, das da draußen auf sie lauerte. Obwohl sie es natürlich besser wusste: In ihrem Studium hatte sie schließlich gelernt, dass in jedem Menschen etwas abgrundtief Böses steckt. Bei einigen brach sich dieses Böse Bahn und übernahm das Kommando, bei anderen kam es nie ans Licht und schlummerte im Verborgenen.
    Während sie in Gedanken versunken war, tippte ihr plötzlich jemand auf die Schulter.
    »Lea, mein Schatz, es tut mir so leid, aber du weißt ja, mein lieber Ehemann ist mal wieder zu spät nach Hause gekommen, und die Mädchen mussten auch noch ins Bett.« Ihre Freundin Patrizia entschuldigte sich wortreich für ihre Verspätung. Lea stand auf und gab der gestressten Hausfrau und Mutter erst mal drei Wangenküsse zur Begrüßung. Das Warten war kein Problem gewesen. Sie kannte Patrizia lange genug, um zu wissen, dass Pünktlichkeit nicht zu ihren Stärken gehörte. So hatte sie sich die Zeit mit einigen Gläsern Wein versüßt, tolle Livemusik gehört und Gelegenheit gehabt, in Ruhe über ihr bisheriges Leben und über den Fall nachzudenken, der sie während ihres Studiums am meisten bewegt hatte. Und nun wollte sie ihrer Freundin von ihrer bestandenen Prüfung erzählen.

    N ur langsam kam Lea wieder zu sich. Es war gestern spät geworden mit Patrizia in der Bar. Gemeinsam hatten sie eine Flasche Tignanello von ihrem Lieblingsweingut Antinori geleert.
    Lea erinnerte sich an den Pianisten, der so nett ausgesehen, so wunderbar gespielt und mit ihr geflirtet hatte, was das Zeug hielt. Aber dann fehlte ihr ein Stück Film.
    Plötzlich schoss sie hoch. Heute war ihr erster Arbeitstag, und ein Blick auf die Uhr signalisierte ihr, dass sie schon viel zu spät dran war.
    Sie sprang auf, ging schnell ins Bad, brachte ihre Haare in Form und legte etwas Make-up auf, während sie Arthur sein Futter hinstellte. Dann holte aus ihrem Kleiderschrank einen ihrer schlichten schwarzen René-Lezard-Hosenanzüge und zog sich in Windeseile an.
    »Komm, Arthur!« Ihre Bordeauxdogge stand schwanzwe delnd vor ihr. »Wir laufen schnell hinunter in den Garten.«
    Arthur war ein ausgesprochen schöner Hund mit seinen traurigen braunen Augen und dem treuen Blick, seinem samtig glänzenden braunen Fell und dem typisch zerknautschten Gesichtsausdruck, bei dem sie sich nur schwer beherrschen konnte, ihn nicht jedes Mal zu knuddeln.
    Trotz seiner etwa siebzig Kilogramm Lebendgewicht wirkte er weder behäbig noch fett, vielmehr machte er einen muskulösen, durchtrainierten Eindruck. Erwartungsgemäß lief er jetzt geradewegs hinunter in den Garten, verrichtete sein Geschäft, schoss freudig auf sie zu und schaute sie erwartungsvoll an. Aber sie hatte jetzt keine Zeit, mit ihm zu spielen. Heute Abend, wenn sie zurück war, würden sie alles nachholen. Gott sei Dank kümmerte sich Karl, der nette pensionierte Geschichts- und Mathematiklehrer von nebenan, jeden Tag so liebevoll um den Hund.
    Schnellen Schrittes und laut fluchend verließ Lea das Haus.
    »So ein Mist, mein erster Tag, und ich werde zu spät kommen.«

    Holger Harms war ein Mann in den besten Jahren. Trotz seiner Glatze sah man ihm sein wahres Alter kaum an, denn sein Gesicht hatte stets einen gesunden, braungebrannten Teint. Er war ein »Junggebliebener«, der sich stets locker, sportlich – mit Jeans und ausgesprochen geschmackvollen, farblich aufeinander abgestimmten Hemden und Pullovern – kleidete und sich auch jugendlich verhielt. In Wirklichkeit aber war er seit mehr als zwanzig Jahren
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