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Die Lust des Bösen

Die Lust des Bösen

Titel: Die Lust des Bösen
Autoren: Cassandra Negra
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schoss eine Idee durch den Kopf. Er startete seinen Rechner, der schnurrend mit einigen Pieptönen, die nicht sonderlich vertrauenerweckend klangen, hochfuhr und dazu auch noch eine halbe Ewigkeit brauchte. In der Zwischenzeit öffnete sich Wenger eine Flasche Bier, die er gierig – fast in einem Zug – in sich hineinschüttete.
    »Na, mein Gutster«, meinte er, als endlich die Startseite auf dem Monitor erkennbar war, »brauchst ja wirklich lange, bist du auf Touren kommst.«
    Er kniff seine brennenden Augen zusammen. Es waren kleine, ausdruckslose Augen in einem schmalen, fast femininen Gesicht, umrahmt von pechschwarzen Haaren, die er meist zu einem Zopf zusammengebunden hatte. Ein zierlicher Kopf, der nicht recht zu dem mächtigen und muskulösen Körper passen wollte. Eine merkwürdige Laune der Natur, die ihm beinahe alienhaftes, unwirkliches Aussehen verlieh. Er musste sich verdammt anstrengen, die kleinen Buchstaben auf dem Bildschirm zu erkennen.
    »Na, dann wollen wir mal!«
    Er rieb sich die Hände, gab ein paar Begriffe ein und suchte, bis er eine Seite über den ehemaligen Führerbunker im Netz fand. Die Animation dort schien Räume zu zeigen, die direkt unter dem Festsaal der alten Reichskanzlei gelegen hatten, der wohl bis Kriegsende nicht richtig fertiggestellt worden war. Ein riesiges Areal! Aber was war mit dem Führerbunker? War davon noch etwas erhalten?
    Er fand die Homepage eines Historikers und las, dass die Russen dreimal vergeblich versucht hatten, den Bunker zu sprengen. Na, das wundert mich nicht, gegen diese deutsche Bauqualität können die nicht anstinken, dachte Wenger und grinste. Er schöpfte Hoffnung: Vielleicht existierte das Bauwerk tatsächlich noch, und er konnte dort hineingelangen. Aber die nächsten Zeilen zerstörten seine Zuversicht rasch wieder, denn Ende der siebziger Jahre hatte die Stasi die Anlage geöffnet, weil sie in diesem Bunker einen Tunnel von West nach Ost vermutet hatte, der zur Flucht hätte benutzt werden können.
    »Diese Kommunisten!«, fluchte er.
    Zu dieser Zeit war der Bunker also noch vollkommen intakt gewesen. Das war doch pervers. Lediglich die erste Decke war eingestürzt. Fasziniert schüttelte er den Kopf, wenn er an die Deckenstärke von dreißig Zentimetern dachte, dreißig Zentimeter! Sie war beim Bau des Bunkers notwendig gewesen, damit die nachfolgende Decke von vier Metern auf Grund ihres Gewichtes überhaupt gebaut werden konnte. Er folgte den weiteren Ausführungen des Historikers. Die Stasi habe den Bunker dann wieder geschlossen, weil sie keine Gänge gefunden hatte. Erst Mitte der achtziger Jahre habe sie die Arbeiten wieder aufgenommen und den Bunker nach und nach abgetragen. Vom Führerbunker selbst hatte man nur die Decke und die Seitenwände bis zu einer Höhe von circa anderthalb Metern entfernt und danach alles mit Kies verfüllt. Auf Anweisung der damaligen DDR-Behörden, so war in den Ausführungen zu lesen, war er letztlich tiefenenttrümmert worden.
    »Was bedeutete das?«, fragte sich Wenger und sog gierig die folgenden Zeilen auf: Alle tieferliegenden Fundamente im Boden waren mit zahlreichen Abrissgeräten wie Hydraulikhämmern und diversen Abbruch- und Sortiergeräten zerstört worden. Das musste Unsummen gekostet haben, überlegte er – und das, obwohl das DDR-Regime doch sonst nie Geld gehabt hatte.
    So was Verrücktes! Er schüttelte den Kopf. Also, den Krieg und die Russen hatte der Führerbunker unbeschadet überstanden, aber vor dem Unwesen der Stasileute hatte er dann doch kapitulieren müssen.
    Wenger wollte seinen Computer schon ausschalten, da las er etwas, was ihm erneut Hoffnung machte: Durch die Mauer und durch den dahinterliegenden Grenzstreifen war der westliche Bereich des Reichskanzleigeländes wohl von der totalen Tiefenenttrümmerung verschont geblieben, hieß es da. Aha.
    Hier hatte man in den neunziger Jahren die Reste des sogenannten Fahrerbunkers gefunden, der bis heute noch gut erhalten zu sein schien.
    »Der Fahrerbunker also, interessant«, murmelte Wenger. Wo der sich wohl befand? »Mal sehen, ob ich hier einige alte Pläne auftreiben kann.«
    Na also, er wurde fündig! Wenn dieser Plan richtig war, lagen Führer- und Fahrerbunker auf dem Gelände der heutigen Hessischen Landesvertretung zwischen Voß- und Ebertstraße. Und beide Gebäude schienen klar miteinander verbunden gewesen zu sein. Somit war also der Fahrerbunker, der inzwischen unter Denkmalschutz stand, der einzige noch erhaltene
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